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Archiv-Artikel

35.000 Ablesungen pro Jahr

CEBIT Intelligente Stromzähler messen den Verbrauch zu jeder Viertelstunde. Der Energieversorger weiß nun alles über den Kunden. Das alarmiert die Datenschützer

„Es geht um den Alltag von Personen. Das ist ein intimer Eingriff“

PETER SCHAAR, DATENSCHÜTZER

VON CHRISTIAN AICHNER

Von unterwegs mit dem Handy den Herd vorheizen, den Kühlschrank die Einkäufe online machen und die Waschmaschine zum günstigsten Zeitpunkt selbst anspringen lassen: Das Smart Home, das Haus der Zukunft, gehört zu den Top-Themen der Computermesse Cebit in Hannover, die am heutigen Samstag zu Ende geht. Dazu nötig sind intelligente Stromnetze. Doch intelligent kann auch gefährlich sein: Datenschützer warnen davor, dass die in vielen Häusern jetzt schon installierten intelligenten Stromzähler, die Smart Meter, jede Menge Informationen über den Verbraucher liefern, ohne dass dieser gefragt wird oder es ihm auch nur bewusst ist.

Nächtliche Waschgänge

Die schrittweise Ablösung der bisherigen analogen Zähler durch digitale verfolgt zwei Ziele: Die exakte Kenntnis des Verbrauchs, mit der sich Stromfresser leichter identifizieren lassen, soll den Verbraucher dazu anregen, sich Gedanken darüber zu machen, wie er Energie sparen kann. Und sie soll den Weg zu den intelligenten Netzen vorbereiten, mit denen je nach Bedarf automatisch Strom bezogen werden kann. So könnten Wasch- und Spülmaschinen nachts anlaufen, wenn die Nachfrage gering und der Preis entsprechend günstig ist.

Seit Anfang 2010 muss in jeden Neubau und jedes voll renovierte Haus ein digitaler Stromzähler eingebaut werden, der Energieverbrauch und Nutzungszeit anzeigt. Seit Januar dieses Jahres müssen die Stromversorger zudem tageszeit- und lastvariable Tarife anbieten. Das regelt das Energiewirtschaftsgesetz von 2010, das wiederum eine EU-Richtlinie von 2006 umsetzt. Dazu wird der Strom nicht mehr wie bisher einmal jährlich abgelesen. Der intelligente Stromzähler misst die Daten im Viertelstundentakt und sendet sie prompt an den Stromanbieter – rund 35.000-mal im Jahr.

Ungeladener Vertreterbesuch

„Das ist ein Quantensprung“, sagt der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar: „Die gemessenen Verbrauchsdaten geben Aufschluss über den Alltag von Personen. Das ist ein Eingriff in den intimsten Bereich.“ So könnten individuelle Verbraucherprofile erstellt und vom Stromanbieter einzelne Elektrogeräte im privaten Haushalt identifiziert werden: „Diese Informationen könnten an Dritte weitergegeben werden“, sagt Schaar. „Wenn Sie etwa eine alte Kühltruhe haben, sieht das der Stromanbieter. Und plötzlich könnte ein Vertreter vor Ihrer Tür stehen, um Ihnen eine neue zu verkaufen.“

Schaar fordert, dass die Kunden die Datenhoheit erhalten. „Die Verbraucher müssen jederzeit wissen und steuern können, welche Daten erhoben, gesendet und weitergegeben werden.“ Zudem dürften nur die für den Betrieb erforderlichen Daten gespeichert werden.

Bis zur flächendeckenden Einführung der intelligenten Stromzähler, die bis 2015 oder 2020 geplant ist, soll eine Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes verabschiedet sein.

Ständig im Netz

Derzeit springt beim Einsatz von Smart Meter und flexiblen Stromtarifen kaum eine lohnenswerte Kostenersparnis heraus. Im Schnitt können Verbraucher rund 5 bis 10 Prozent weniger Energie verbrauchen, in Haushalten mit vielen elektrischen und elektronischen Geräten etwas mehr, erklären die Anbieter. Externe Experten gehen aber davon aus, dass die Ersparnis eher bei 3 Prozent liegen dürfte – immerhin lassen sich Kaffeekochen, Staubsaugen oder Löcher-in-die-Wand-Bohren nicht auf jeden beliebigen Termin verschieben. Dafür fallen aber einmalige Anschaffungskosten für den Zähler an, die mit ungefähr 100 Euro zu Buche schlagen – und vor allem Mehrkosten für dessen ständige Internetverbindung: Eine DSL-Standleitung verbraucht mit knapp 130 Kilowattstunden im Jahr mehr als ein Kühlschrank mit der günstigsten Energie-Effizienz-Klasse A++.