31. Oktober 1989: Charakterköpfe
■ Fünf Jahre danach — eine taz-Serie
Der Versuch der SED aus der letzten Woche, durch Druck und Drohungen die Menschen von der Straße zu bekommen und selbst wieder die Initiative zu übernehmen, ist gescheitert. So überraschend wie die Kampagne gestartet worden war, so schnell ist sie vorbei. Was in der letzten Woche noch „Unruhe und Gebrüll“ war, ist im Neuen Deutschland „Ausdruck praktizierter Volkssouveränität“. Die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der die Kommentatoren des SED-Zentralorgans ihre Haltung wechseln, macht schwindelig.
Zwar bleibt ihnen im Grunde nichts anderes übrig – die Menschen lassen sich nicht mehr so einfach von ihren Straßen und Plätzen vertreiben. Aber zwischen Beschimpfen und Nach- dem-Munde-Reden sollte es eigentlich noch etwas geben: Charakter. Doch das ist wohl zuviel verlangt. Lumpen ändern sich nicht.
Einen Charakterkopf, der auch in diesen bewegten Zeiten seiner Lust am Denunzieren und Beschimpfen treu geblieben ist, sind wir jedenfalls los. Karl-Eduard von Schnitzler saß gestern abend das letzte Mal im „Schwarzen Kanal“. So ist uns eine weitere landestypische Maßeinheit abhanden gekommen: das Schnitz. (Ein Schnitz war die Zeitdauer von der Ansage des Schwarzen Kanals bis zum Wechseln des Programms.) Nach dem Ende von Schnitzlers Sendung die Ansagerin: „Kommen wir jetzt zu Willi Schwabes Rumpelkammer.“ Wolfram Kempe
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