■ 30 Jahre nach dem „Überfall des Jahrhunderts“: Ronald Biggs: Der Gefangene von Rio
Rio de Janeiro (taz) – Niemals ein Bösewicht, sondern nur ein Schwindler: Ronald Biggs, Posträuber auf freiem Fuß, besteht darauf, nicht mit gemeinen Verbrechern in einem Atemzug genannt zu werden. „Verbrecher haben stets einen Revolver dabei, ich jedoch kann Waffen nicht ausstehen“, versichert der 64jährige Engländer. Dreißig Jahre nach dem „Überfall des Jahrhunderts“ auf einen Postzug voller Geld und Diamanten führt Biggs am Zuckerhut ein beschauliches Leben.
In der Nacht zum 8. August 1963 überfiel Biggs zusammen mit 14 Landsleuten den Postzug, der von London nach Glasgow fuhr, und erbeutete 2,5 Millionen Pfund – damals mehr als zwanzig Millionen Mark. Doch ein steinreicher Mann, so beteuert Biggs in seinem komfortablen Haus in Rios Künstlerviertel „Santa Teresa“, sei er nicht. Die Flucht vor Scotland Yard habe ihn viel Geld gekostet: „Diebe fressen sich gegenseitig auf.“
Nach dem Überfall ging zunächst alles schief: Die Gangster wurden geschnappt, Biggs und sechs weitere Hauptangeklagte bekamen jeweils 30 Jahre Gefängnis aufgebrummt. Doch im Juli 1965 wurde Biggs mit Waffengewalt aus dem Hochsicherheitsgefängnis Wandsworth befreit. Er versteckte sich in Zürich, Paris, Tel Aviv, Bombay und Sydney.
Der Gedanke, sich an der Copacabana zur Ruhe zu setzen, kam Biggs 1970 beim Durchblättern einer Reisebroschüre in Australien. Fasziniert von der nächtlichen Aufnahme des Zuckerhuts verwarf er seine Pläne, nach Japan oder Südafrika auszuwandern. Nach dieser Entscheidung wich das Glück nicht mehr von seiner Seite.
Nicht nur die Skyline der brasilianischen Metropole, auch die Einwohner von Rio, genannt „Cariocas“, hatten es dem Ganoven angetan. Als Scotland Yard 1973 seine Auslieferung beantragte, war Ronald Biggs bereits stolzer Vater eines anglo-brasilianischen Babys namens „Mike“. Nach brasilianischem Recht durfte er deshalb nicht ausgeliefert werden. Mittlerweile hat sich Biggs an sein Leben als „Carioca“ gewöhnt: Seine Wäsche läßt er von einer Hausangestellten bügeln, seine Anzüge sind maßgeschneidert, und er verbringt seine Nachmittage damit, an der Copacabana Austern zu schlürfen und Bier zu trinken.
„Ich bin an den Zuckerhut gefesselt“, meint Biggs augenzwinkernd und spielt damit auf den Film „Prisoner of Rio“ an, den der polnische Regisseur Lech Majewsky vor fünf Jahren über ihn gedreht hat. Theoretisch steht Biggs tatsächlich unter Hausarrest. Er hat keine Arbeitserlaubnis, darf weder heiraten noch verreisen und muß sich zweimal wöchentlich bei der Polizei melden. Doch Rio wäre nicht Rio, wenn die Ordnungshüter kein Verständnis für die zuweilen lockere Rechtsauslegung des berühmten „Gringos“ zeigten.
Das Arbeitverbot hat Biggs geschickt umgangen. Statt brasilianische „Cruzeiros reais“ verdient er inflations-immune US-Dollar. Von Auslandskorrespondenten verlangt er pro Interview hundert Dollar, und neugierige Touristen können ihn gegen „harte Währung“ auf Empfängen zu Gesicht bekommen. Seine Stimme wurde von den „Toten Hosen“ und der englischen Punkband „Sex Pistols“ auf Vinyl gebannt, und im Fernsehen macht Biggs ausgerechnet für Versicherungen gegen Diebstahl Reklame.
„Wenn Sie Ihr Vermögen schützen wollen, hören Sie auf den Ratschlag von jemanden, der etwas davon versteht“, beschwört er die Zuschauer und läßt seine Beine lässig im Swimmingpool baumeln. „Dieses Sicherheitssytem können Sie installieren. Glauben Sie mir, ich bin schon reich.“ Sehr richtig: Wenn es sich als Schwindler so gut leben läßt, muß man ja auch nicht zum Verbrecher werden. Astrid Prange
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