piwik no script img

3. November 1989Vor der Demo

■ Fünf Jahre danach – eine taz Serie

Die Stimmung in der Stadt ist zum Zerreißen gespannt. Eine Frage treibt die Leute um: Wie wird der Staat morgen reagieren? Gerüchte machen die Runde. Rings um Berlin seien die Militäreinheiten in Alarmbereitschaft versetzt worden, heißt es. Nachprüfen kann das keiner. In Gesprächen ist immer wieder die Warnung vor Provokateuren von der SED zu hören. Vorsicht ist das Gebot der Stunde. Niemand kann sich vorstellen, daß die Partei sich so ohne weiteres eine Großdemonstration im Herzen der Hauptstadt gefallen lassen wird.

Am Abend wendet sich Krenz überraschend über das Fernsehen mit einer Erklärung an die Bevölkerung. Offenbar ist der Druck auf die Partei- und Staatsführung in diesen Stunden enorm, denn Krenz kündigt, ohne daß vorher irgendwo die Forderung erhoben worden wäre, den Rücktritt weiterer Politbüromitglieder an: Mielke, Axen, Hager, Mückenberger und Neumann. Außerdem plane die Regierung, einen Verfassungsgerichtshof einzurichten und zivilen Wehrersatzdienst einzuführen. Die letzten beiden Ankündigungen sind im Grunde sensationell. Die Staatsführung reagiert, bevor eine Demonstration stattgefunden hat! Zwar geht es ganz klar darum, der morgigen Veranstaltung die Spitze zu nehmen, aber eine Frage bleibt doch: Hat sich das Land in vier Wochen so sehr verändert, daß mittlerweile nicht nur die Menschen sich vor der Führung fürchten, sondern umgekehrt auch die Führung vor den Menschen? Ist ein Gleichgewicht der Furcht eingetreten? Das wäre die halbe Miete. Wolfram Kempe

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen