: 276 Mordfälle und ein General
An 11. November wird in Guatemala ein neuer Präsident gewählt/ Zur Wahl stehen eine Reihe politischer Fossilien/ Der Sozialdemokrat Humberto Gonzalez wurde erschossen, dem Ex-Diktator Rios Montt wurde die Kandidatur untersagt ■ Aus Guatemala-Stadt Ralf Leonhard
Humberto Gonzalez hatte recht. Der sozialdemokratische Politiker war gegen eine Teilnahme seiner Partei, der Revolutionär-Demokratischen Union (URD), an den bevorstehenden Wahlen in Guatemala. Die Bedingungen seien noch nicht gegeben, argumentierte der rundliche Politiker, der seit seiner Rückkehr aus dem Exil vor fünf Jahren wenig in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten war. Am Montag wollte er sogar öffentlich zur Stimmenthaltung aufrufen. Wenige Stunden vor der geplanten Pressekonferenz am Nachmittag hielten unbekannte Bewaffnete sein Fahrzeug an und exekutierten den Politiker mit der Pistole. Humberto Gonzalez starb wie vor zwanzig Jahren sein Vater.
Am selben Tag fielen ein bekannter Journalist und ein Funktionär der sozialdemokratischen Partei in der Provinz unbekannten Tätern zum Opfer. Die Verbrechen werden wohl nie aufgeklärt werden — wie auch der Mord am ehemaligen Generalsekretär der christdemokratischen Partei, Danilo Barillas im August des Vorjahres, der Sozialforscherin Myrna Mack vor wenigen Wochen, der Sozialdemokratin Gilda Flores gemeinsam mit dem salvadorianischen Sozialdemokraten Hector Oqueli im Januar und Tausenden Unbekannten, deren Tod nicht einmal in den Zeitungen gemeldet wird.
Die Regierung Cerezo, die am 14. Januar abtreten muß, hatte nur einmal einen spektakulären Erfolg bei der Aufklärung politischer Verbrechen aufzuweisen: im Juli 1988 verurteilte das Strafgericht von Quetzaltenango den damaligen Polizeichef der Region, Catalino Esteban Valiente, und fünf Polizisten zu 30jährigen Haftstrafen. Die Männer waren durch kriminologische Untersuchungen überführt worden, zwei Studenten gekidnappt und ermordet zu haben. Daß erstmals in der Geschichte des Landes ein Offizier der Sicherheitskräfte wegen eines politischen Verbrechens verurteilt werden konnte, wurde damals als großer Erfolg der US-amerikanischen Polizeihilfe gefeiert. Zwei Jahre später, am 30. Juli 1990, entschied ein Berufungsgericht, die Beweislage für eine Verurteilung wegen Mordes nicht ausreiche, und ließ die sechs Häftlinge auf freien Fuß setzen. Die Angehörigen der Mordopfer waren so lange eingeschüchtert worden, bis sie nicht mehr bereit waren, ihre Anschuldigungen vor der Berufungsinstanz zu wiederholen.
„Was vielleicht noch schwerwiegender ist, als die Aufhebung des Urteils“, schreibt die angesehene US- amerikanische Menschenrechtsorganisation „Americas Watch“, „ist die Tatsache, daß keine weiteren Anklagen gegen Militärs zu Verurteilungen geführt haben obwohl Mitglieder der Armee und Polizei ständig in Folter, Mord und Verschleppung verwickelt sind“.
Allein den den ersten neun Monaten dieses Jahres registrierte die staatliche Menschenrechtskommission 276 Morde und 70 Fälle von Verschwundenen. Ein oppositioneller Abgeordneter im Hochland und drei Kandidaten für Parlamentssitze und Bürgermeisterposten wurden während des Wahlkampfes ermordet. Kein Wunder, daß viele Wähler nach einem starken Mann rufen, der hart durchgreift und für Sicherheit auf den Straßen sorgt. Nur so ist die Popularität des pensionierten Generals Efrain Rios Montt zu erklären, der im März 1982 durch einen Putsch junger Offiziere an die Macht kam und 16 Monate mit eiserner Faust regierte, bis er seinerseits einem Staatsstreich weichen mußte. Menschenrechtsorganisationen schätzen, daß 10.000 Menschen, mehrheitlich Indio-Bauern, seiner Anti- Guerilla-Kampagne zum Opfer fielen. Politisch Verdächtige in der Stadt wurden nicht mehr wie unter den Vorgängern auf offener Straße niedergeschossen, sondern vor ein Geheimtribunal gestellt, summarisch verurteilt und füsiliert.
Heute, angesichts der notorisch korrupten christdemokratische Regierung Cerezo, gewinnt die Anti- Korruptionskampagne des Generals, der seit seiner Bekehrung zu einer fundamentalistisch-evangelischen Sekte wie ein Prophet auftritt, an Attraktivität. Doch Rios Montt, der von drei kleinen Rechtsparteien unterstützt wird und in allen Meinungsumfragen die Nase vorne hat, darf zur Wahl gar nicht antreten. Letzte Woche entschied der Oberste Gerichtshof gegen ihn, weil Artikel 186a der Verfassung alle diejenigen, die durch Putsch oder Revolution an die Macht gekommen sind, von der Präsidentschaft ausschließt.
Rios Montt deklarierte sich vor wenigen Tagen auf einem Forum als „großer Freund der Menschenrechte“. Doch als die Präsidentschaftskandidaten am Dienstag eingeladen waren, ihre Politik gegenüber den Vertretern der Mayavölker, die immerhin 60 Prozent der Bevölkerung und 40 Prozent der eingeschriebenen Wähler stellen, zu verteidigen, blieb der Platz des Generals leer. Auch die anderen drei Spitzenreiter in einem Feld von 13 Kandidaten zogen es vor, sich durch drittklassige Funktionäre vertreten zu lassen. Und die anwesenden Kandidaten, darunter Fossilien wie General Bendicto Lucas, der während der Terrorherrschaft seines 1982 gestürzten Bruders Romeo Armeechef war, richteten sich an die Indios, die das Universitätsauditorium füllten, wie an eine Gruppe von Schulkindern. Die Indios forderten vom künftigen Staatschef die Auflösung der Wehrdörfer und der sogenannten Selbstverteidigungspatrouillen in den Dörfern, die die eingeborene Bevölkerung der Kontrolle der Militärs unterstellen. Beide Einrichtungen haben sie Rios Montt und seiner Anti- Guerilla-Kampagne zu verdanken.
Wer auch immer die Wahl am 11. November gewinnt: Auch die zukünftige Regierung wird wohl Politik für die weiße und mestizische Minderheit machen, die seit jeher die Wirtschaft kontrolliert. Unter Cerezo hat sich daran nicht viel geändert: Die Großgrundbesitzer brauchen die Indios als billige Arbeitskräfte auf den Plantagen, und die Tourismusindustrie braucht sie für die bunten Werbeprospekte. Meinungsumfragen im Wahlkampf berücksichtigten die Indios anfangs überhaupt nicht, später nur zu 26 Prozent. Fragebögen in Mayasprachen gab es keine, obwohl schätzungsweise 45 Prozent der neun Millionen Guatemalteken die Amtssprache Spanisch nicht beherrschen.
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