■ 24.000 Stimmviecher: Falsche Demokratie
Es ist eigentlich immer zu begrüßen, wenn jemand nach seiner Meinung gefragt wird. Insbesondere dann, wenn in seinem Namen etwas entschieden werden soll. Manchmal aber gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Dazu zählt die drohende Befragung von 24.000 SPD-Mitgliedern zur Regierungsbildung. Denn wollen die Sozialdemokraten ihre Partei jetzt auch noch per Urabstimmung in zwei Teile sprengen?
Die SPD steckt weiter in einer tiefen Sinnkrise. Die mit einem lächerlichen Ergebnis beendeten Sondierungsgespräche haben von der notwendigen parteiweiten Debatte über die künftige Rolle der SPD nur abgelenkt. So überrascht es nicht, daß diejenigen Genossen, die schon am Wahlabend für die Fortsetzung der Großen Koalition waren, es heute noch sind. Wer dagegen in die Opposition wollte, hat seine Position ebenfalls nicht verändert. Es ist abzusehen, daß die Oppositionsbefürworter den Mitgliederentscheid fordern werden, weil sie so die Große Koalition vielleicht verhindern können. Um die Meinung der Basis geht es ihnen dabei kaum, sondern um die Legitimierung ihrer Position. Die Befürworter einer Großen Koalition werden wiederum nicht gegen einen Entscheid stimmen, weil sie sich neben Machtgeilheit nicht auch noch Demokratiefeindlichkeit vorwerfen lassen wollen.
An der Urwahl des Spitzenkandidaten am Jahresanfang nahmen noch rund die Hälfte der Mitglieder teil – hier war nämlich klar, daß ihre Entscheidung gefragt war. Bei einem Entscheid zur Regierungsbildung muß die Partei fürchten, daß die Mehrheit der Genossen zu Hause bleibt. Denn wenn Mitglieder nicht der Entscheidung, sondern des Alibis wegen befragt werden sollen, wird Demokratie zur Farce, und Befragte werden zum Stimmvieh. Dirk Wildt
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