20 Jahre "Spiegel TV": Von der Front vor der Tür

"Spiegel TV" begann als kämpferisches Politmagazin. Heute bevorzugen die Macher dramatische Rot- und Blaulichtthemen. Kritische Jubiläumsanmerkungen eines früheren Mitarbeiters.

"Spiegel-TV" war lange vor allem ein anderes Wort für Stefan Aust. Bild: dpa

In seinen ersten Jahren zeigte das "Spiegel TV Magazin" dynamisches, unterhaltsam-aufklärerisches Fernsehen im besten Sinne: unberechenbar, mit Härte im Urteil, ohne parteipolitisch okkupiert zu sein wie die öffentlich-rechtlichen Anstalten, und war deshalb glaubwürdig. Heute ist es eine Sendung im wöchentlichen Magazin-Allerlei mit durchschnittlich nur noch knapp 2,2 Millionen Zuschauern.

Geschenkt: Auch die öffentlich-rechtlichen Politmagazine leiden unter Bedeutungsverlust. Das markante Profil des Genres löst sich zunehmend auf. So betreibt das Fernsehen seine eigene Entwertung. Von einer gesellschaftsverändernden Kraft der Meinungsmagazine kann nicht mehr gesprochen werden.

Viele Politiker stehen sowieso für kritische Fragen hartnäckiger Journalisten nicht mehr zur Verfügung. Sie treten lieber in den Talkshows braver "Gastgeber" auf - weil sie die Massen so effektiver erreichen als durch Bundestagsauftritte.

Wie das gesamte Fernsehen klammert auch das "Spiegel TV Magazin" große Teile der Wirklichkeit aus: Was sich nicht einfach, schnell und zugespitzt erzählen lässt, kommt nicht vor. Die Macher im Hamburger Chilehaus kultivieren die spezifische Neigung des Mediums zum Unterhaltsamen. Und wie das gesamte Medium verstärken die "Spiegel TV"-Sendungen die in der Gesellschaft vorherrschenden Stereotype.

Politik wird bei "Spiegel TV" oft auf Politiker, also auf erlebbare Oberfläche reduziert und eben nicht in ihren Zusammenhängen dargestellt. Den Versuch, Politik verständlich zu machen, unternimmt die Sendung erst gar nicht. So trägt sie zur allgemeinen Entpolitisierung im Fernsehen bei. Außerdem versendet sich politischer Stoff heute oft, ohne dass die Politik davon Kenntnis nimmt oder in Aufregung gerät. Auch deshalb sinkt der Einfluss der politischen TV-Magazine beständig.

Zudem muss dem "Spiegel TV Magazin" vorgeworfen werden, dass es Ausmaß und Häufigkeit von Verbrechen übertreibt, Gewalt dramatisiert und ihr zu viel Aufmerksamkeit widmet: Das Fernsehen kennt und bedient den lüsternen Umgang der Gesellschaft damit. Rot- und Blaulichtstoffe regen die Fantasie derjenigen an, die antisoziale Neigungen haben, sie stillen den Appetit auf Schandtaten, Sensationen und Sexualität. Die Folge ist alarmierende und aufwühlende Frontberichterstattung aus der kriminellen Schattenwelt. Dadurch haben die Fernsehverantwortlichen des Spiegel-Verlags in den letzten Jahren einer Law-and-Order-Tendenz bei ihren Zuschauern Vorschub geleistet.

Konzessionen ans Spektakuläre muss das "Spiegel TV Magazin" schon deshalb eingehen, weil es einen Mittelweg eingeschlagen hat zwischen den Qualitätsansprüchen der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz, denen des gedruckten Spiegel und dem, was im privaten Fernsehen als Information geboten wird.

Nun sind Skandalisieren, Emotionalisieren und Personalisieren zentrale journalistische Methoden - und die Macher des "Spiegel TV Magazins" Meister darin. Zu vergleichen ist die Sendung wohl am ehesten mit dem gedruckten Stern. Beide wollen Spaß machen, überraschen, bunt sein - und Skandale aufdecken. Hier wie da verkaufen sich schlechte Nachrichten besser als gute. Trotzdem soll "Spiegel TV" nicht wirken, als werde hier das Elend der Welt verbreitet, wie allabendlich in der "Tagesschau".

Besonders gut ist das "Spiegel TV Magazin" immer dann, wenn es leuchtende Reportagen aus dem Alltag von Ausgestoßenen und Unterprivilegierten bringt. Die Filme erzählen Geschichten von Schicksalen, ohne die Rolle des Praeceptor Germaniae zu übernehmen, die Aussagen ergeben sich durch die Montage der Bilder und Sequenzen.

Und dennoch wird - bei "Spiegel TV" wie im gesamten Fernsehen - ein schwarz-weißes Bild von der Wirklichkeit gezeichnet: Der Zuschauer soll Recht und Unrecht, Opfer und Täter klar unterscheiden können. Mit dieser Plot-Erzählweise übernimmt das factual television zunehmend die narrative Struktur des fictional television. Doch die dargestellten Konflikte werden nicht aufgelöst - damit bleibt der kathartische Effekt aus, den die meisten Spielfilme erzielen. Diese zynisch-negativistische Weltsicht macht das "Spiegel TV Magazin" aus - ebenso wie den gedruckten Spiegel; natürlich versetzt mit gezwirbelten Formulierungen und humorigen Szenen. Immerhin hat das "Spiegel TV Magazin" in den vergangenen 20 Jahren mit mancher Glosse, manchem Sprachwitz und mancher Stasimitarbeiter-Entlarvung ein bisschen Fernsehgeschichte geschrieben.

Angesichts der beschriebenen Tendenzen - nicht ausgelöst, aber mitgemacht vom Spiegel-Fernsehen - warnen Pessimisten vor einem Rückfall unserer Zivilisation in die Vor-Gutenberg-Zeit. Denn der Mensch, das Augentier, entwickelt sich wegen der täglichen visuellen Überflutung durch TV und Internet zurück von der Schriftkultur zur Bildkultur. Und das Publikum huldigt dem Imperator Fernsehen und seinen Werten Beliebigkeit, Zerstreuung und Kommerz.

Dieser Gedanke hätte bei "Spiegel TV" sicher keine Chance. Denn: Wo ist da die Story?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.