: 17.000 Gründe für linken Journalismus
Heute ist es wichtiger denn je, keine Angst vor neuen Wegen zu haben. Kontext war Pionierin. Doch die MitstreiterInnen im gemeinnützigen Journalismus werden mehr.
Von Barbara Junge↓
17.000 ausgedruckte Seiten Facebook-Chatprotokolle, eine Sammlung von Menschenverachtung, Rassismus und Hitlergruß-Emojis, Kontext hat sie vor drei Jahren ausgewertet. Kontext ist es zu verdanken, dass wir die demokratiefeindliche Kommunikation des Mitarbeiters zweier baden-württembergischer AfD-Landtagsabgeordneter kennen. 17.000 Belege dafür, dass die AfD nicht nur zufällig und gerade mal in Thüringen ein Problem mit Rechtsextremismus hat. Es sind 17.000 Gründe, weshalb es unabhängigen linken Journalismus braucht.
Als der Journalismus vergangenes Jahr als systemrelevant unter Schutz gestellt wurde, sind wir in der taz damit zunächst etwas ironisch umgegangen. Die taz als systemrelevant? Dafür wurde die taz nicht gegründet. Wie soll unter diesen Vorzeichen unabhängiger Journalismus aussehen? Allerdings haben wir schnell gelernt, dass auch in der Pandemie die Gesetze der Schwerkraft gelten: Die Starken werden stärker, die Schwachen werden schwächer. Manchmal ist es gar nicht so kompliziert, die Mechanismen der Gesellschaft zu erklären. Diejenigen, die sonst nicht zu Wort kommen, wurden wieder nicht gehört. Und die Branche der Fake News erlebt derweil ihre Blütezeit.
Gerade in Baden-Württemberg mit seinem beachtlichen Querdenker-Reservoir tut der kritische Blick Not. Hier hat es Kontext mit einer unangenehmen Spezies zu tun, die die Grenze zwischen schwäbischer Widerborstigkeit und rechtsextremer Verschwörungsideologie nicht mehr erkennen will. Und wenn die Pandemie vorbei ist, was wenigstens in Deutschland hoffentlich im Herbst der Fall sein sollte, ist dieser Spuk noch lange nicht Vergangenheit. Da werden gerade verdammt breite Pfade ins rechte Lager getrampelt.
Auf der anderen Seite hat die Pandemie die „Fridays for Future“-Bewegung hart ausgebremst. Die Klimakrise, die unbedingt dieses Wahljahr bestimmen müsste, war schon irgendwie da. Nur irgendwie war sie – aus guten Gründen – im öffentlichen Bewusstsein gerade nicht das wichtigste. Dabei sind die kommenden Jahre die entscheidenden. In den nächsten zehn Jahren wird sich zeigen, ob zumindest das Zwei-Grad-Ziel noch erreichbar ist oder wir auf die ungebremste Erhitzung der Erde zusteuern. Die neuen Regierungskonstellationen in den Ländern wie im Bund könnten einen Unterschied machen, auch wenn Deutschlands Klimabilanz die Welt alleine nicht retten wird. Und in Baden-Württemberg regiert ein grüner Ministerpräsident, der manchmal nicht mehr genau weiß, wo die Grenze zwischen grüner Klimapolitik und schwarzer Interessenvertretung verläuft.
Unabhängiger linker Journalismus hat die extreme Rechte immer im Blick, auch wenn das öffentliche Interesse mal erlahmt. Die taz hat dafür eigene Rechercheteams und internationale Kooperationen gegründet. Unabhängiger linker Journalismus lässt aber auch eine grüne Regierungspartei publizistisch nicht unangetastet. Bei Kontext kann man sicher sein, dass sie auch mit den Grünen nicht immer pfleglich umgehen. Warum auch? Wer nach dem Wasserwerfereinsatz vom September 2010 gegründet wurde und zusehen muss, wie an diesem Irrsinn von Stuttgart 21 auch unter den Grünen weiter und weiter gebuddelt wird, muss sich schwertun mit der Pfleglichkeit.
Für Kontext gab es kein Vorbild vor zehn Jahren. Wir freuen uns, dass wir wöchentlich ein kleines Stück zum Erfolg beitragen können, indem wir Kontext am Samstag der taz beilegen.
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