151 jahre litfaßsäule : Rundherum Werbung
Manchmal nervt es schon, dass die Stadt derart übersät ist mit Zeichen. Wohin man sich wendet, blöken sie einen an, die Chiffren des Konsums, der Agitation und des Infotainments. Überall hängt was, wirbt was, blinkt was. Die verbleibenden Zwischenräume werden von jugendlichen Identitätssuchern beflissen mit dem Edding vollgemalt.
Früher war das aber auch nicht viel besser. Weil ihm das „wilde Plakatieren“ auf die Nerven ging (und er sich ein einträgliches Geschäft erhoffte), erdachte der Berliner Druckereibesitzer Ernst Litfaß Mitte des 19. Jahrhunderts ein neues Stadtmöbel: die bis heute als Werbemedium unverwüstliche, plakatierbare Säule. Fortan waren Anschläge an Wänden, Bäumen oder Bretterzäunen streng untersagt. Mit der Litfaßsäule, wie sie irgendwann hieß, monopolisierte der Unternehmer die Verbreitung von Botschaften, ob Schuhcremereklame oder Rekrutierungsbefehl.
Später übernahm die Stadt das Monopol mit der Gründung der Berliner Anschlag- und Reklamewesen GmbH (Berek), die 1970 von der BVG übernommen wurde. Als VVR-Berek verwalten die Litfaß-Erben heute tausende Säulen, Leuchtposter und Plakatwände oder kleben Busfenster mit Ketchupwerbung zu.
Gestern enthüllte VVR-Berek-Geschäftsführer Wolfgang Weinkauf in der Münzstraße ein Denkmal für Litfaß. 151 Jahre, nachdem an exakt dieser Stelle, Ecke Grenadier-, heute Almstadtstraße, die erste „Annonciersäule“ errichtet wurde, steht hier ein Bronzezylinder in historischer Gestalt. Im Flachrelief hat die Bildhauerin Felicitas Franck darauf Litfaß-Porträts, Silhouetten von Plakatsäulen, Piktogramme und Schriftzüge in historischen Lettern vereint. „Klopfen Sie ruhig mal dran, die hält was aus“, sagte Weinkauf der Presse. „Die kann auch die nächsten 150 Jahre stehen bleiben.“
„Im Laufe der Zeit wird sich die Bronze noch patinieren“, erklärte die Künstlerin, „je nachdem wie viele Hunde vorbeikommen.“ Na klar – die Tiere waren immer schon Nutznießer der Säulen. Deshalb ziert auch ein Hund das Kunstwerk, das in seiner Volkstümlichkeit und der Betonung des Handwerklichen irgendwie in der Tradition des DDR-Stadtmobiliars der 70er- und 80er-Jahre zu stehen scheint.
Damit verweist die Säule unbeabsichtigt auf eine Epoche, in der wildes Plakatieren tatsächlich so gut wie ausgerottet war. Die Realität 2006 spricht Litfaß’ Bemühungen dagegen Hohn: Heute klebt wieder jeder, was und wohin er will. Ein Gutes hat der Bronzetubus aber allemal: Es ist wohl Berlins einzige Litfaßsäule, auf der nie, nie, nie für das „Big Sexyland“ geworben werden wird. CLAUDIUS PRÖSSER