150 Jahre Schiedsmänner: Vertragen statt klagen

Damit nicht jeder kleine Nachbarschaftsstreit vor Gericht ausgetragen wird, gibt es ehrenamtliche Vermittler. Doch obwohl das günstiger ist als jeder Prozess, greifen nur wenige darauf zurück

Heinz Winkler sucht Streit. Ob es um die Frage geht, zu welchem Grundstück ein Kirschbaum gehört oder ob der Nachbar mal wieder zu laut Musik hört, ist dabei ziemlich egal. Winkler, hauptberuflich Schulleiter der Zehlendorfer Leistikow-Oberschule, will sich auch gar nicht selber streiten. Vielmehr will der 62-Jährige die Streitigkeiten von anderen schlichten. Deshalb ist er als ehrenamtlicher Streitschlichter tätig.

Mehr als 80 Streitschlichter gibt es in Berlin. Sie sollen vermitteln, wenn es zwischen Nachbarn zu Auseinandersetzungen kommt - etwa wegen Lärm oder Sachbeschädigung. Doch obwohl das gut funktioniert, werden Schiedsleute viel zu selten angefordert, klagt der Vorsitzende des Verbands Deutscher Schiedsfrauen und -männer.

Was zunächst wie ein Schülerlotsen-Projekt für Erwachsene klingt, hat eine lange Tradition: Der Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen feierte dieses Jahr sein 180-jähriges Bestehen. Allein in Berlin gibt es mehr als 80 ehrenamtliche Schiedspersonen.

Winkler hilft seit mehr als 25 Jahren Wildfremden, ihre Streitigkeiten zu klären. Abseits von Kanzlei und Gerichtssaal lädt er die Parteien in sein Wohnzimmer ein und versucht zu vermitteln. "In so einem privaten Rahmen ist die Einigungsbereitschaft oftmals viel höher", sagt er. In Kreuzberg, wo er wohnt und schlichtet, habe er es meistens mit Beleidigungs-, Lärmbelästigungs- oder Sachbeschädigungsfällen zu tun. "Und manchmal wenden sich auch Leute an mich, weil sie meinen, ihre Nachbarn würden mit zu viel Knoblauch kochen."

Der größte Vorteil gegenüber dem Gerichtsverfahren ist zweifelsohne der Preis: Mit einem Kostenrahmen zwischen 17 und maximal 50 Euro steht das vom Schiedsamt angebotene Schlichtungsverfahren außer Konkurrenz. Im besten Fall kommt es nach wenigen Treffen zur Einigung der gegnerischen Parteien. Durch die Unterzeichnung eines Vertrags wird festgehalten, wie man sich geeinigt hat. Können sich die Parteien nicht einigen, wird die Auseinandersetzung vor Gericht fortgesetzt.

In Berlin führen mehr als 50 Prozent der Schiedsverfahren zu einer Einigung. Trotz der guten Quote ist keiner der 80 Streitschlichter ausgelastet. "Anfangs habe ich 15 Streite im Jahr geschlichtet, in diesem Jahr waren es erst zwei", sagt Winkler. "In anderen Bundesländern kommt man bei kleineren Auseinandersetzungen gar nicht um das Schiedsamt herum", ärgert er sich. Tatsächlich gibt es seit 2000 das Gesetz zur Förderung außergerichtlicher Streitbeilegung. Nachbarschaftliche Auseinandersetzungen, Beleidigungsfälle und vermögensrechtliche Fragen bis zu einem Streitwert von 750 Euro dürfen demnach nur vor Gericht ausgetragen werden, wenn ein Schlichtungsversuch unternommen wurde. Ob das Gesetz angewandt wird, bleibt allerdings Sache der Länder.

Sechs Bundesländer haben die Streitschlichtung als verpflichtende Instanz etabliert. Eins von ihnen ist Brandenburg. Dort wurde das Gesetz gerade verlängert wegen seines Erfolgs, gerade bei Fällen von Nachbarschaftsstreit und Ehrverletzung.

Auch Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) habe sich mit dem Thema auseinandergesetzt, sagt Corinna Hartmann, Pressereferentin der Senatsverwaltung für Justiz. "Eine Prüfung durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat jedoch ergeben, dass das verpflichtende Güteverfahren die Erwartungen nicht erfüllt." Deshalb habe man sich in Berlin gegen die Einführung der obligatorischen Streitschlichtung entschieden.

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