: 100.000 mit der SED gegen Neonazis
Großdemonstration alten Stils am sowjetischen Ehrenmal in Ost-Berlin / Bekenntnis zur DDR-sojwetischen Freundschaft / SED-Strategie einer Einheitsfront gegen rechts stößt bei der Opposition auf Kritik / Sie vermutet eine Wahlkampfmasche der Noch-Regierungspartei ■ Aus Ost-Berlin W.Gast
„Nazis raus, Nazis raus“. Die Sprechchöre schallen laut durch die riesige Anlage, die in den fünziger Jahren zu Ehren der gefallenen Sowjet-Soldaten in Treptow, dem Nachbarbezirk von Kreuzberg, gebaut wurde. Das Areal, mehrere Fußballstadien groß, ist am Mittwoch Abend überfüllter Schauplatz einer „Kampfdemonstration“, zu der die SED, die Deutsch-Sowjetische Freundschaftsgesellschaft und das Komitee der Widerstandskämpfer aufgerufen haben. Über 100.000 Menschen - die DDR-Medien melden sogar 250.000
-haben sich unter der 35 Meter hohen Statue des heldenhaften Sowjetsoldaten mit einem Kind auf der Schulter versammelt, um gegen die Schändung des Ehrenmales, den Neonazismus und für eine „Einheitsfront gegen rechts“ zu demonstrieren.
„Die Hydra des Faschismus erhebt wieder ihr Haupt“, warnt Kurt Höfer, Vorsitzender des Komitees der Widerstandskämpfer, um im gleichen Atemzug die Leistungen der Sowjetunion im Spanischen Bürgerkrieg ebenso zu würdigen wie die heldenhafte Rolle der Sowjetsoldaten bei der Befreiung vom Hitler-Faschismus. Der Soldat, das ist für ihn der Held der Befreiung Deutschlands und des Aufbaus der DDR
-das Symbol, „das uns Antifaschisten stets heilig bleibt“. Unbekannte hatten vor etwa einer Woche am Denkmalssockel die Parolen „Besatzer raus“ und „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ geschmiert. Die Besudelung der Ehrenstätte kommt ihm, dem Spanienkämpfer und Verfolgten des Nazi -Regimes, einem „Verbrechen“ gleich.
„Einheitsfront, Einheitsfront“ - die Parole von Zigtausenden wird von allen RednerInnen aufgenommen. Unter großen Applaus fordert auch Gregor Gysi, Chef der demokratisierten Einheitssozialisten: „Verhindern wir alles, was die antifaschistischen Grundfesten in diesem Land kaputtmacht!“ Das Land sei in Gefahr, „und zwar von rechts“. Die Opposition meint, daß die SED mit dem Thema Rechtsradikalismus vor allem die eigene Profilierung betreibt. Davon will der 41jährige Rechtsanwalt natürlich nichts wissen: „Wir müssen diese Gefahr erst bannen, sonst brauchen wir über demokratischen Meinungsstreit und anderes erst gar nicht diskutieren.“ Seine Forderung nach einem rechtsstaatlichen, demokratischen, aber auch „entschlossenen“ Handeln der Staatssicherheitsorgane unterstützen die Kundgebungsteilnehmer - in der Mehrheit Mitglieder der SED und der früheren Blockparteien - mit Sprechchören, die nach einem Verfassungsschutz rufen.
Anders als seine Vorredner, die den aufkommenden „Neonazismus“ in der DDR nur als Import aus dem westlichen Ausland begreifen, räumt Gysi ein, daß offenbar auch junge DDR-Bürger für solches Gedankengut zugänglich sind. Ganz der Reformer, macht der SED-Chef dafür Defizite im Bildungswesen und die totalitären Strukturen der Vergangenheit verantwortlich.
Sprechchöre skandieren „Drushba, Drushba“ (Freundschaft), als über Mikrophon der Botschafter der UDSSR, Wjatscheslaw Kotschemassow, begrüßt wird und der SED-Chef sein Bekenntnis zur unbrüchlichen deutsch-sowjetischen Freundschaft ablegt. Nach der Schändung des Ostberliner Ehrenmales sowie den rechtsradikalen Schmierereien und Übergriffen auf Ausländer in anderen Städten sei man diese Kundgebung sich selbst, aber auch der UDSSR, der KPdSU und persönlich „dem Genossen Michail Gorbatschow einfach schuldig“. Die sowjetischen Armeen hätten nicht nur die Befreiung vom Faschismus gebracht, „es war auch wieder dieses Land, das die Perestroika einleitete“. Erst sie habe die Umwälzung in der DDR ermöglicht. Deshalb werde auch keine „Art von Antisojwetismus, der immer zugleich auch Chauvinismus und Nationalismus ist, geduldet“.
Wie das Credo der Freundschaft erinnert auch die Dramaturgie an vergessen geglaubte Veranstaltungsformen. An der Seite des Widerstandskämpfers Horst Steinert tritt die vielleicht neunjährige Tanja Freund auf. Leicht zögernd spricht sie ihren Text: „Wir Kinder verurteilen die neonazistischen Schmierereien am Treptower Ehrenmal.“
Der Rednerin der Trotzkistischen Liga Deutschlands dagegen schlägt ein gellendes Pfeifkonzert entgegen. Sie fordert die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten, die militante Organisierung der Betriebe und - Stein des Anstoßes - die Bildung einer „leninistischen Einheitsfront“. Als sie dann noch von „Ostdeutschland“ und dem „Mittel Sozialdemokratie zum Ausverkauf der DDR“ spricht, bricht auf der sonst so ruhigen wie beherrschten Massenversammlung der Tumult aus. Ihr Redebeitrag geht in den Sprechchören „DDR“ und „SED-PSD“ völlig unter.
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