100 Jahre Zeitschrift "Camera Austria": Fotos von Gespenstern
Die Zeitschrift "Camera Austria" feiert ihre 100. Ausgabe mit einer Ausstellung in Graz. "I am not afraid", eine Schau des "Market Photo Workshop" aus Südafrika.
An der Redaktionstür von Camera Austria hängt eine kranzumwobene 100 aus goldener Pappe, so, als ob der Dorfpfarrer dem greisen Jubiliar vorsorglich den letzten Segen verabreicht hätte. Doch die 1980 in Graz gegründete Fotografiezeitschrift feiert lieber mit einem grandiosen Ausblick auf die Arbeit kommender Generationen und stellt in der von Leiterin Christine Frisinghelli und Walter Seid kuratierten Ausstellung "I am not afraid" den Market Photo Workshop aus dem südafrikanischen Johannesburg vor. Gezeigt werden in Graz sechs künstlerische Nachwuchspositionen sowie drei Community-Projekte.
Die Perspektive der FotografInnen im Jahre 18 nach der Abschaffung der Apartheid dokumentieren ein durchaus schillerndes Bild von Südafrika. Man merkt den Bildern an, dass sie die staatlich sanktionierte Apartheid nur mehr aus Erzählungen kennen. Dabei wurde der "Market Photo Workshop" 1980 noch unter dem alten rassistischen Regime gegründet. Hier arbeiteten unter der Leitung des Fotografen David Goldblatt und der Aktivistin Joyce Ozynsk junge Fotografen ohne Aufteilung nach Hautfarbe zusammen, damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Um den Status quo der "Post-Apartheid" drehen sich die aktuellen Exponate aus der Johannesburger Fotoschule, während das ergänzende Jubiläumsheft von Camera Austria die Tradition der "struggle photography" rekonstruiert. Ihre frühere Praxis als Fotografen beschreibt Peter McKenzie in einem Beitrag so: "Wir fuhren als Fotografen hin und kehrten als Kulturarbeiter zurück, mit der Direktive, dass der Kampf um die Freiheit Aktionen erfordere, die über das bloße Fotografieren hinausgehen." Er bezieht sich dabei auf eine folgenreiche Reise zum "Culture and Resistance Festival" 1982 im botswanischen Gaborone. Viele südafrikanische Fotografen und Filmemacher traten nach diesem Treffen damals in den direkten politischen Kampf gegen das Apartheidsregime ein. Zahlreiche FotografInnen machten Mobilisierungsarbeit, organisierten Demonstrationen oder übernahmen heimliche Botendienste. "Und manchmal wurden sie für ihre Bemühungen auch verhaftet", so McKenzie.
Der langwierige Prozess von Befreiung und Demokratisierung bestimmte die frühere fotografische Praxis. Heute kann die Kunst ganz offensichtlich in vielem freier sein. Wo früher das Gedicht über Bäume als ein Verbrechen erschien, kann nun allmählich ein Bild des Möglichen - eines neuen und zu erkundenden Südafrikas - geschaffen werden. Plötzlich kommen - das wird in den Bildern jüngeren Datums in der Ausstellung sichtbar - Provinz, regionale Besonderheiten, Gendertroubles, das Leben der Muslime oder auch einfach nur der schnöde Alltag als Motive in Betracht.
Außergewöhnlich reich ist die auf einer Wand ausgebreitete fotografische Recherche "Back and Forth". Sie dokumentieren den individuellen Handel über die Grenzen hinweg, der bis vor zehn Jahren noch eher ungewöhnlich schien. Doch im heutigen Südafrika ist der informelle Handel insbesondere für Frauen aus dem inflationären Simbabwe überlebensnotwendig. Die International Organisation for Migration war 2006 an den Market Photo Workshop mit dem Vorschlag herangetreten, den aktuellen grenzüberschreitenden Handel zu dokumentieren. Sechs Studierende, vier aus den jeweiligen Ländern hinzugezogene Berufsfotografen und ein beratendes Team machten sich daran, den hochmobilen und unter Zeitdruck stehenden HändlerInnen sieben Monate lang zu folgen. Es sind schnelle Bilder, aus der Hocke oder durchs Fenster eines fahrenden Busses geschossen. Sie zeigen Frauen, die notgedrungen an einem Taxistand übernachten und riesige Taschen über die Grenze tragen. Oder: das Porträt einer Geldwechslerin in der Grenzstadt Musina, die dem Polizisten in einem Bus gegenübersteht, der nach alten Banknoten sucht. Besonders eindrucksvoll ist auch das Bild einer dicht gedrängten Versammlung von Händlerinnen auf dem Bahnhof von Durban. Wie die Legende verrät, beratschlagen sie über ihre weitere Zukunft, weil die Metro Rail sie von ihrem Gelände verbannen will.
Der Fotograf Sabelo Mlangeni begleitete Straßenkehrerinnen acht Monate lang nahezu jede Nacht und am frühen Morgen. Auf den Fotografien erscheinen sie als Gespenster. Natürliche Lichtbedingungen und Bewegungsunschärfe verknüpfen sich mit gesellschaftlicher Unsichtbarkeit.
Jodi Bieber hingegen ging zur Fotorecherche in eine weiße Siedlung. Der dort lebende und "antisozial" eingestellte David Jakobine wirkt auf den Bildern wie ein Robbie Williams im Trailerpark. Das ehemalige Arbeiterviertel ist heute "white trash" und die kleinkriminelle Armut im neuliberalen Südafrika keineswegs nur eine Frage der Hautfarbe. Ganz anders Bonile Bams: Seine Bilder erscheinen exotisch; nackte, schwarze Männer, die mit gekalkten Körpern inmitten der Landschaft ausharren. Der Kontakt zum Fotografen wirkt entspannt, im Hintergrund steht ein Radio auf einem Felsen. Bieber wie Bam folgen dem Wissen ihrer Herkunft, ohne diese zu verraten. Auch in der Fotoserie queerer Frauen aus den Townships bewegt sich Zanele Muholi auf dem Terrain des ihr Bekannten und Vertrauten.
Jährlich durchlaufen 150 bis 200 StudentInnen die Fotoschule in Johannesburg und erhalten hier eine Ausbildung. Sie "lernen, ihre Herangehensweise an ein Thema auszuhandeln, Sensibilität für Repräsentationspolitik zu entwickeln sowie mit Zeit und Logistik umzugehen", wie Leiter John Fleetwood in einem Text für Camera Austria schreibt. Die Ausstellung in Graz ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür.
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