100 Jahre Dada: Pinguine abreißen! Bubu!

Lesen und an Männer und Frauen weitergeben: Warum die Dada-Damen in der Kunstgeschichtsschreibung vergessen wurden.

Eine Doppelbelichtung der Dada-Künstlerin Hannah Höch

Die Dada-Männer waren auf die Frauen, die bei Dada aktiv waren, nicht stolz. Foto: dpa

Sollten Künstlerinnen bei Dada nicht eine prominente Rolle spielen? Wo Dada doch eine militant antibürgerliche und antiinstitutionelle Haltung pflegte? Das würde für einen unkonventionellen Umgang mit kreativen Frauen sprechen. Zumal Dada offen war, was Wahl der Materialien, der Themen, der Ausdrucksformen, des Wissens und der Ausbildung der künstlerischen Regeln anging. Hier hätte es Platz genug für die Frauen geben müssen.

Aber so wie es sich heute darstellt, gab es Platz gerade mal für die Diseuse Emmy Hennings in Zürich und die bildende Künstlerin Hannah Höch in Berlin. Zwei Namen, die geblieben sind. Es sollten mehr sein. Von ihnen erzählen Ina Boesch und ihre Mitautorinnen in „Die Dada. Wie Frauen Dada prägten“ (Zürich 2015, Scheidegger & Spiess, 29 Euro).

Die Dada-Männer waren auf die Frauen, die bei Dada aktiv waren, nicht stolz. Sie schlugen kein Kapital aus einer Vorreiterrolle, die Dada zugefallen und eher widerwillig akzeptiert worden war. In ihren maßgeblich die Kanonisierung von Dada betreibenden Erinnerungen schrieben sie wie etwa Richard Huelsenbeck in den 50er oder Hans Richter in den 60er Jahren die Frauen aus Dada und damit aus der Kunstgeschichte heraus.

Für Richard Huelsenbeck hing zwar die Zukunft des Cabarets von Emmy Hennings Erfolg oder Misserfolg als Sängerin ab, aber wie Hans Richter oder Friedrich Glauser sah auch er zu viel Kindlichkeit bei ihr, um nicht zu insinuieren, letztlich sei sie nicht ernst zu nehmen. Sie selbst sah sich auch als Kind – freilich als eines, das Anspruch auf den zentralen Begriff erhebt. Zum Rätsel von Herkunft und Sinn von Dada schreibt sie in einem Brief an Tristan Tzara, „das Wort stammt von mir, und ich hab’s in einer Spielerei oft Hugo gesagt, wenn ich spazieren gegen wollte. Alle Kinder sagen Dada.“

Mit dieser Urheberschaft sollte sie nicht durchkommen. „Die meisten betrachteten uns lange Zeit als reizende, begabte Amateure, ohne uns je einen beruflichen Rang zuerkennen zu wollen“, war sich Hannah Höch der geringen Wertschätzung ihrer Kollegen nur allzu bewusst. Dadasoph Raoul Hausmann, der immerhin sieben Jahre mit ihr liiert war, meinte denn auch deutlich machen zu müssen: „Sie war nicht Mitglied im Club.“ Bei solchen Äußerungen ist der avantgardistische Lack von Dada natürlich schnell ab.

Unfreiwillige Buchmacher

1920 zeigt Hannah Höch wenigstens sieben Arbeiten auf der Ersten Internationalen Dada-Messe in der Galerie Otto Burchard, darunter ihre Dada-Puppen und die Fotomontage „Schnitt mit dem Küchenmesser. Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“. George Grosz, Initiator der Veranstaltung, versuchte zusammen mit den Brüdern Herzfelde ihre Beteiligung zu hintertreiben.

Um ein dadaistisches Gedicht zu machen, empfahl der rumänische Schriftsteller und Dichter Tristan Tzara (1896-1963): Nehmt eine Zeitung/Nehmt Scheren./Wählt in dieser Zeitung einen/Artikel von der Länge aus, die/Ihr Eurem Gedicht zu geben/Beabsichtigt./Schneidet den Artikel aus./Schneidet dann sorgfältig jedes/Wort dieses Artikels aus und gebt/Sie in eine Tüte./Schüttelt leicht./Nehmt dann einen Schnipsel nach/Dem anderen heraus.

Das Grundmaterial des Dadaismus ist also die Zeitung. Deshalb feiern wir den 100. Geburtstag der künstlerischen und literarischen Bewegung am 5. Februar 2016 mit einer Dada-taz.

Und hier im Internet? Einfach die Anleitung von oben befolgen: Wörter zusammensetzen Mit der dem die neu aus Bildschirm dann Schere schneiden und schütteln. Hch. U.

Erst als Raoul Hausmann mit seinen Rückzug drohte, so berichtet Karoline Hille in ihrer Biografie „Hannah Höch. Die Zwanziger Jahre. Kunst. Liebe. Freundschaft (Edition Braus, Berlin 2015, 24,95 Euro), zeigten sich die Herren großzügig, verstümmelten im Katalog dafür aber gleich mal den Titel ihrer Montage. Nach Dada-Art nahm Höch danach Schere und Kleber und dokumentierte die Schändung des Katalogs in der „Schnitt“-Montage. Dada ist eben auch ein asiatischer Kampfkunstsport. Bediene dich der Energie deines Gegners.

Nur Hugo Ball kann, was die anderen Dadaisten nicht können: stolz Emmy Hennings Leistung anerkennen. (Aber vielleicht starb er auch nur zu früh, um nicht die gleichen Rückzieher wie seine Freunde zu machen.) 1916 berichtet er seiner Schwester: „Den größten Erfolg hat Emmy. Man übersetzt ihre Verse für Bukarest. Sie hat dort eine ganze Kolonie von Freunden. Die Franzosen küssen ihr die Hand. Man liebt sie unaussprechlich.“

Auch die Zürcher Post schwärmt von Emmy, die der „Stern des Kabaretts“ sei. Und ein unbekannter Rezensent des Niuve Amsterdamer, den Bärbel Reetz in ihrem Doppelporträt „Das Paradies war für uns. Emmy Ball-Hennings und Hugo Ball“ (Insel Verlag, Berlin 2015, 16,99 Euro) zitiert, lobt die Dichterin und Mitarbeiterin wichtiger literarischer Zeitschriften: „Sie singt mit einer nicht schönen, aber expressiven Stimme. Und das schmale von Morfin zerstörte Gesicht zuckt mit den heftigen Bildern, die sie malt“.

Schmutz und Bär ahoi

Dada war eben auch klassische Boheme voll exzentrisch-kreativer, höchst interessanter wie amüsanter, aber schwierig zu fassender Figuren. Ihnen lag wenig daran, ihren Beitrag zu Dada zu dokumentieren. Dass sie nur wenig schriftlich festhielten, machte es später Forschern und erinnerungsseligen Dadaisten leicht, sie beiseitezuschieben.

Elsa von Freytag-Loringhoven, 1874 als Else Plötz in Swinemünde geboren, war eine solche Größe des New Yorker Dada, als legendäre Performerin und Objektkünstlerin, der nicht wenige ihrer längst kanonisierten Künstlerkollegen wesentliche Anregungen verdankten. Mina Loy, bildende Künstlerin und Dichterin, dazu alleinerziehende Mutter, gehört zum Kreis des New Yorker Dada, wo sie dem Boxer und Dadaisten Arthur Cravan begegnet, mit dem sie ein legendäres Paar bildet. In Paris gab Céline Arnauld die Zeitschrift Projecteurheraus, in der die ganze Riege von Aragon, Breton über Eluard und Picabia bis zu Philippe Soupault und Tristan Tzara vertreten war, Anzeige für das „Festival Dada“ am 26. Mai 1920 inklusive.

Auch Sophie Taeuber-Arp war nicht nur eine vielseitige bildende Künstlerin, die malte, webte, stickte, Marionetten und Bars baute, sondern eine außerordentlich begabte Tänzerin. In ihrem, wie es Hugo Ball sah, „in Linien zersplitternden“ Körper verwirklichte sie paradigmatisch den dadaistischen Tanz. Im Cabaret Voltaire trat sie in Marcel Jancos grotesken Masken auf, weil sie bei den wilden Soireen nicht unbedingt erkannt werden wollte, sie unterrichtete schließlich an der Züricher Kunstgewerbeschule.

Damit war sie eine der wenigen Frauen im Dunstkreis von Dada, die in einem bürgerlichen Beruf arbeitete. Freilich im Bereich der angewandten Kunst. Den anderen Dada-Damen fehlte die Berufserfahrung, für die sie entweder zu reich oder zu sehr Boheme waren. Daher konnten sie kaum mehr als den Status des Amateurs für sich reklamieren. Das widersprach ihrer Bedeutung für Dada nicht, wohl aber für dessen Geschichtsschreibung.

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war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

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