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Archiv-Artikel

EIN OFFENER BRIEF AN FRANK SCHIRRMACHER Wir haben Angst um uns beide

SEITENWECHSEL Der „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher zweifelt öffentlich an seinen politischen Werten. Höchste Zeit für Post von der taz:

Lieber Frank Schirrmacher, wir wissen nicht, ob Sie das hier lesen, ob Sie überhaupt heute Zeitung lesen und nicht einfach im Bett bleiben und sich die Decke über den Kopf ziehen, um nichts von der Welt sehen zu müssen, die Sie nicht mehr verstehen. „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“, schreiben Sie in der FAS – eine Kapitulationserklärung. Um ehrlich zu sein: Wir machen uns Sorgen um Sie, sehr sogar.

Die Schuldenkrise hat nicht nur die internationalen Finanzmärkte erschüttert, sondern in einer Art Nachbeben auch Ihre konservativen Ideale, von einem „Drama der Selbstdesillusionierung des bürgerlichen Denkens“ sprechen Sie und rechnen mit der CDU ab: „Es ist die Frage, ob sie ein bürgerlicher Agendasetter ist oder ob sie das Bürgertum als seinen Wirt nur noch parasitär besetzt, aussaugt und entkräftet.“ Das hätte auch Sahra Wagenknecht nicht schöner sagen können.

Mit Ihren Gewissheiten, lieber Frank Schirrmacher, geraten zwangsläufig auch unsere ins Wanken: Wer steht künftig rechts von uns, wenn Sie es nicht mehr sind und uns im Versuch, alte Fehler wettzumachen, womöglich gar links überholen? Wer ist da noch? Horst Mahler? Nichts Geringeres steht zu befürchten.

Als wortgewaltiges Sprachrohr des Bürgertums, als sein avantgardistischer Vordenker haben Sie die Macht, Leben anderer unwiderruflich zu verändern. Was kommt als Nächstes? Tritt Wolfgang Schäuble dem Chaos Computer Club bei? Wird Helmut Kohl taz-Genosse?

Wir machen uns nicht nur Sorgen um Sie, wir haben auch Angst um unsere Weltsicht.

Lieber Frank Schirrmacher, Sie stehen zweifellos neben sich. Und deswegen können wir Ihre Kapitulation nicht annehmen. Glauben Sie uns, es ist auch in Ihrem Sinne. Eines Tages werden Sie uns danken. Gute Besserung wünscht DAVID DENK