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Autor Wildenhain tritt in die Linkspartei ein„Die Grünen sind mir zu bieder“

Michael Wildenhain war einst Hausbesetzer, nun trat er in die Linkspartei ein. Ein Gespräch über radikale Bewegungen und warum es gerade die Linke sein musste.

Die Linke hat es Michael Wildenhain angetan. Bild: dapd
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Wildenhain, sie sind kürzlich in die Linkspartei eingetreten. Warum?

Michael Wildenhain: Ich hatte schon länger mit dem Gedanken geliebäugelt. Es gab dann einen Aufruf aus dem außerparlamentarischen Spektrum, in die Partei einzutreten. Eigentlich unterschreibe ich keine Aufrufe, weil ich diese Form von Politik für kurios halte. Aber soziale Bewegung und parlamentarische Linke stärker zu verknüpfen, das hat mich überzeugt.

Warum?

Die Anti-AKW-Bewegung ist ein Beispiel, dass auch eine starke, kontinuierliche soziale Bewegung das Parlament und eine Partei – in dem Fall die Grünen – brauchte, um den Atomausstieg durchzusetzen. Soziale Bewegungen können viel bewirken, zerfallen aber auch wieder leicht. Es mangelt an Kontinuität. Das ist ein Vorteil von Institutionen wie Parteien, bei denen es hingegen gelegentlich zu viel Kontinuität gibt, vor allem personell. Soziale Bewegungen und Parteien können sich ergänzen.

Sie kommen aus der radikalen Linken, der Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre. Ist es nicht merkwürdig nun in eine linkssozialdemokratische, langweilige Partei einzutreten?

Bild: imago/gezett
Im Interview: MICHAEL WILDENHAIN

53, lebt in Berlin und ist Autor von Romanen, Jugendbüchern und Gedichten. 1983 erschien sein erster Roman „Zum Beispiel K.“ über die Berliner Hausbesetzerszene, 2008 „Träumer des Absoluten“.

Vor zehn, fünfzehn Jahren wäre das für mich nicht infrage gekommen – das stimmt. Aber mein Blick auf die radikalen Bewegungen hat sich verändert. Diese Bewegungen sind Durchlauferhitzer. Leute engagieren sich dort zwei, drei Jahre, dann hören sie auf. Es gibt dort ein dauerndes Abreißen von Zusammenhängen, das äußerst unproduktiv ist. Gerade in dem entstehenden politischen Europa, mit all seinen komplexen Problemen, muss die gesellschaftliche Linke kontinuierlich vertreten sein. Es gibt in Europa mehr Erwerbslose, die soziale Kluft wird tiefer, um zwei Beispiele zu nennen. Um dafür Lösungen zu finden, ist eine parlamentarische Linke notwendig – und eine breite, europäische, außerparlamentarische Bewegung.

Waren Sie schon in Ihrem Ortsverband?

Ja, aber es gab noch keine Versammlung. Ich habe bisher nur das Büro der Geschäftsstelle gesehen. Es stehen ziemlich viele Werke von Marx und Engels dort.

Schreckt sie die Vorstellung nicht, Teil eines bürokratischen Parteilebens zu werden?

Ich bin neugierig, ich werde es ausprobieren. Immerhin kenne ich Sportvereine. Die haben ja auch ihren Sinn.

Warum die Linkspartei, warum nicht die Grünen?

Es gibt manche dort, die ich schätze: Jürgen Trittin, natürlich Hans-Christian Ströbele. Aber die Grünen insgesamt empfinde ich als viel zu bieder.

Sie sind Schriftsteller. Ist der Autor, der seine Stimme erhebt oder sich politisch engagiert, nicht ein Modell aus dem letzten Jahrhundert?

Ich glaube nicht, dass Schriftsteller dauernd ihre Stimme erheben sollen. Das Israelgedicht von Grass hat diesen Irrtum ja deutlich vor Augen geführt. Das ist eine Form der Intervention, die aus der Zeit gefallen wirkt. Das liegt zum einen daran, dass es keine politisierte Gesellschaft gibt, die Sensoren dafür hat. Und es liegt an dem Bedeutungsverlust der Literatur. Für die Verständigung in der Gesellschaft sind Fernsehen und die neuen sozialen Medien einfach die wichtigeren Medien. Der zentrale Grund ist aber ein anderer: Der Schriftsteller, der sich anmaßen darf, qua eigener Gedankenstärke für andere zu sprechen, ist keine überzeugende Figur mehr. Und das ist eine Form der Demokratisierung, ein antihierarchischer Prozess, der Vorteile hat.

Also haben Schriftsteller keinen privilegierten Zugang zu politischem Engagement?

Nein, nicht mehr als Physiker oder Mathematiker. Autoren können sich politisch äußern, wenn sie von einem bestimmten Thema etwas verstehen. Eine besondere Kompetenz, für das Gemeinwohl zu sprechen, haben sie nicht. Die Idee, für andere zu sprechen, kam mir schon immer abseitig vor. Was ich als Autor tun kann, ist Literatur vor dem Hintergrund eines politischen Milieus oder Ereignisses zu entwerfen. Allerdings sind die Zeiten für diese Literatur nicht günstig. Es fehlt der gesellschaftliche Resonanzraum. Ein Buch wie „Lenz“, das Peter Schneider Anfang der 70er Jahre schrieb, ist derzeit kaum vorstellbar.

Ist Parteipolitik eigentlich ein romanfähiger Stoff? Außer Wolfgang Koeppens „Treibhaus“ 1953, worin das Scheitern eines sozialdemokratischen Abgeordneten in Bonn beschrieben wird, gibt es nichts …

Doch. Michael Kumpfmüller hat mit „Nachricht an alle“ vor ein paar Jahren den fragwürdigen Versuch unternommen, einen Minister zur Romanfigur zu machen. Aber man erkennt auch an „Treibhaus“, wie schwierig es ist, politische Literatur, die diesen Namen verdient, zu schreiben. Das politische Bonn, die Zwänge des entstehenden parlamentarischen Apparats sind bei Koeppen die Folie für die existenziellen Krise eines Mannes. Im Prinzip könnte diese Geschichte auch in einem anderen Milieu spielen. Darin steckt die Frage, was politische Literatur ist und ob es reicht, ein politisches Milieu als Setting zu wählen.

Was dann?

Es gibt Versuche, den bürgerlichen Roman aufzusprengen, über den individuellen Protagonisten hinauszugehen und einen kollektiven Protagonisten zu entwerfen. Das gibt es etwa in Anna Seghers Exilroman „Die Gefährten“ oder Nanni Balestrinis Roman „Wir wollen alles“, der die Fabrikkämpfe in Turin Ende der 60er Jahre beschreibt und in dem sich die Protagonisten in ein kollektives Wir auflösen. Die Etablierung des Kollektivs als Protagonist ist eine äußerst komplizierte Sache. Es gibt dafür nur ganz wenige überzeugende Beispiele. Das Konzept passt für intensive Erfahrungsräume wie soziale Revolten. Mit „Die kalte Haut der Stadt“ und „Zum Beispiel K.“ habe ich diesen Versuch unternommen. Inwieweit er gelungen ist, müssen andere entscheiden. Den großen Roman über die europäischen Revolten, wenn sie kommen, werden diejenigen schreiben, die daran beteiligt sein werden.

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11 Kommentare

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  • I
    Ickelein

    @Jules Mari: Bevor Sie DIE LINKE. als "Auffangbecken" von SEDlern bezeichnen, sollten Sie einmal nachschauen, wieviel SEDler in die CDU eintraten. Davon wurde dann der eine oder andere auch Ministerpräsident. Auch die Blockflöten traten zuhauf in die CDU ein. Das wird geflissentlich verschwiegen. Übrigens findet man die meisten EX-SEDler und Blockflöten in der CDU, nicht in der Linken. Gell?

  • JM
    Jules Mari

    @Gerholdt: meines Wissens sitzt heute weder im Bundestag ein Altnazi, noch ist in irgendeiner der 5 grossen Parteien so jemand im derzeitigen Personal bekannt.

    Bei der "Linken" dagegen gibt es auch weit oben noch einige mit – zurückhaltend ausgdrückt – "ungeklärter" Vergangenheit. Solange die ihre Geschichte nicht offensiv aufgearbeitet hat (vgl. Luc Jochimsen: "die DDR war kein Unrechtsstaat"), bleibt die "Linke" für mich SED mit neuem Namen.

    (btw: ich weiss nicht ob Sie mich genug kennen, um sich ein solches Urteil über mich zu erlauben)

    @egdhhdhd: ich habe nie behauptet, dass alle "Linken" SEDler sind... Zu den "vielen jungen Leuten": Populismus hat die Massen schon immer angezogen.

     

    Ich würde eine ernszunehmende dritte linke Kraft in Deutschland begrüssen, nicht zuletzt weil sie breite linke Mehrheiten ermöglichen würde. Aber solange es sich dabei um die ex-SED ohne Vergangenheitsbewältigung, mit "Rezepten" von einfach-mal-dagegen bis zu völlig lächerlich weltfremd und die obendrein vor allem Nabelschau mit ihrem unfähigen bis unterhaltsamen Personal veranstaltet, handelt, kann die "Linke" diese dritte Kraft links der Mitte nicht sein.

  • HA
    Hermann Augustin

    @Leipziger Freiheit

    Merkel verschwitzte den Fall der Mauer in der Sauna und traute sich erst einige Tage später in den Westen.

    Sie hing ihr Fähnlein in den Wind und wurde von der FDJ-Agitatorin zur "Christdemokratin".

     

    Sie sind auch spät dran und haben die Einheit noch nicht verarbeitet.

    "Wunderbar von den Westrenten lebend" ist ein beleg dafür. Es gibt nur eine deutsche Rente.

     

    Sie als Ostler sollten wissen, dass bei Ihnen die Linke eine Volkspartei ist und in den Kommunen und Ländern anerkannt gute Arbeit leistet.

    Wir haben eine zaudernde, opportunistische Kanzlerin ohne Überzeugungen, die ihre Meinungen manchmal im Stundentakt ändert (Gauck-Wahl).

    Diese Frau kann einem Angst machen,denn sie schadet Deutschland.

    Ihre einzige Devise heißt: Machterhalt um jeden Preis.

  • KS
    Karl Sonnenschein

    Danke, ein sehr interessantes Gespraech!

     

    Interessant auch die Kommentare, es macht sich bemerkbar das Politik und Leitmedien bezueglich "Bitte nicht links waehlen" ganz tolle Arbeit leisten.

     

    Als nicht in DE lebend frage ich mich was ein Linker in DE denn sonst waehlen soll. Ich sehe hier nur Die Linke und als eventuelle Alternative die Piraten, dann kommt lange nichts.

     

    Wie waers zur Abwechslung mal mit Die Linke, Piraten und Gruen?

  • LF
    Leipziger Freiheit

    @Hermann:

     

    Die SED gibt es selbstverständlich immer noch. Die Partei hat sich nur einige Male umbenannt, aufgelöst wurde sie nie. Und selbst wenn: das Personal, die breite Mitgliederbasis, ist selbstverständlich zum großen Teil noch die Alte Garde! Deswegen ist so vieles an ihrer Politik auch so verdammt geheuchelt: etwa der "Pazifismus" und "Antimilitarismus". Früher noch alle in der Betriebskampfgruppe, im Wehrkundeunterricht und jubelnd bei den Militärparaden, und heute einen auf Friedenstauben machen. Wunderbar von den Westrenten lebend, die deutlich höher sind als das, was sie in der DDR bekommen hätten, schimpfen die weitestgehend überalterten LINKEN-Mitglieder heute auf das böse BRD-System. Von der kreuzbraven, alles andere als radikalen oder gar originellen Politik in den ostdeutschen Kommunen, mal zu schweigen. Und die Linke im Westen ist nun wirklich gar keiner Diskussion würdig.

  • H
    Hans

    Nur so nebenbei,

     

    mittlerweile sind noch etwa 30% der Linken-Mitglieder früherere SED-Mitglieder gewesen.

    Die restlichen 70% hatten damit also schon mal nichts zu tun.

     

    Dann muss man den Leuten aber natürlich noch zugestehen, dass Sie über Ihre eigenenen Fehler nachgedacht haben.

    Darüber hinaus war nicht jedes SED-Mitglied Parteibonze - für manche Berufe bspw. war eine Mitgliedschaft einfach Pflicht.

     

    Letztendlich bleibt doch festzustellen:

    Es gibt noch eine nicht-neoliberale Partei im Bundestag, und das ist die Linke.

    Muss einem nicht gefallen, ist aber so.

  • S
    Sunsoo

    "Die Grünen sind mir zu bieder"

     

    Während eine Partei, deren Basis zu über 60 Prozent aus über 60jährigen Ostrentnern besteht, natürlich die Avantgarde schlechthin ist.

     

    Die Anhängerschaft der LINKEN ist das das kleinbürgerlichste, spießigste, was es gibt. Da nützen auch Frau Kippings rote Haare und Wagenknechts Luxemburg-Style wenig. Eine Partei, bei deren Sympathisanten die These "Straffällige Ausländer sollten sofort abgeschoben werden" die höchste Zustimmung aller im Bundestag vertretenen Parteien findet.

  • HA
    Hermann Augustin

    @Jules Mari

     

    Das ist doch der Schnee von gestern!

     

    Seit über 20 Jahren gibt es keine SED mehr! Junge Gewerkschaftler, enttäuschte Sozialdemokraten, Betriebsräte und "normale" Bürger sind Mitglieder der Linken.

    Die wenigen Altkommunisten haben keinen nennenswerten Einfluss!

     

    Die Linke stellt im Bundestag die einzige wirkliche Opposition und bietet Alternativen zur neoliberalen Politik der Merkel-Gurkentruppe!

     

    PS. Ich war lange SPD-Mitglied werde wohl in die Linke eintreten.

  • E
    egdhhdhd

    @Jules Mari:Wie kann ich als Westsozialisierte und Mitglied in der Linken eine SEDlerin sein ,und warum gibt es sehr viele junge Menschen die in der Partei der Linken sind?Ich halte von Parteien grundsätzlich nichts,aber:auf Grund der historischen Situation des Kalten Krieges in Deutschland gab es immer schon einen ausgeprägten Antikommunismus,der moralisch verhindert hat, dass Linke sich ganz normal organieren konnten.Das liest sich ja auch in deinem Kommenatr, alles wird sofort kriminalisiert.Wenn du dir linke Bewegungen/Parteien in anderen Ländern dieser Welt anschaust,dann geht es viel mehr um Inhalte und den Wunsch der Veränderung, als um die Abwehr des ewigen Antikommunismus(negatives klammere ich bewusst aus, ist ja auch in allen Parteien das Gleiche).Auch andere Menschen dort haben ein ganz unterschiedliches Verhältnis zu 'den Linken',was ja jetzt in Griechenland, Spanien und Frankreich gut zu erkennen ist.Die Frage ist eher, wie können sich 'linke' Menschen besser organisieren.Ob da eine Partei das Richtige ist, ist eine andere Frage, aber mehr Offenheit wäre angebracht,denn:es muss was passieren.

  • DG
    Daniel Gerholdt

    Jules Mari: Wie kann jemand, der angeblich politisch gebildet ist auf dem anderen Auge blind sein? Keine der etablierten Parteien, die direkt nach dem 2. Weltkrieg gegründet oder neu aufgebaut wurden ist frei von Alt-Nazis gewesen und auch heute gibt es nicht wenige von denen in diesen Parteien, genauso wie ehemalige SEDler heute bei der CDU/SPD oder bei den Grünen sind. Scheinbar werden diese Wendehälse anders (besser) beurteilt als die, die prinzipiell ihren Ansichten treu geblieben sind.

    Davon abgesehen sollten Sie sich mal überlegen, von welchen Parteien in den letzten 20 Jahren die meisten Angriffe auf unser Grundgesetz gefahren wurden und welche Parteien sich besonders häufig durch Grundgesetzfeindliche Äußerungen und Forderungen hervorgetan haben. Als Tipp: Die LINKEN waren es nicht....

    Wenn in Deutschland Parteien vom VS sondiert und überwacht werden sollten, dann sind das meiner ANsicht nach CDU/CSU,FDP und SPD

  • JM
    Jules Mari

    Wie kann jemand, der offenbar mit dem Denken vertraut ist, den historischen Hintergrund dieser Partei einfach ausblenden?

    Und weshalb wird von der taz nicht einmal thematisiert, dass die Linke noch immer ein Auffangbecken von SEDlern ist? Auf dem linken Auge blind?