piwik no script img

Politologe übers Kräfteverhältnis in Ägypten"Die Armee hilft uns"

Noch spielt das Militär eine wichtige Rolle. Aber auch das wird sich erledigen, meint der Politologe Amr Hamzawy, der am Tahrir-Platz protestierte. An eine islamistische Wende glaubt er nicht.

Zwei Millionen Menschen gegen das Regime: Dienstag am Tahrir-Platz in Kairo. Bild: ap
Deniz Yücel
Interview von Deniz Yücel

taz: Herr Hamzawy, wie fühlt sich Kairo an diesem Tag an?

Amr Hamzawy: Ich stehe auf dem Tahrir-Platz, und es ist wirklich beindruckend. Ich habe Tränen in den Augen. "Tahrir" heißt ja "Befreiung", und dieser Platz ist tatsächlich zu einem befreiten Platz geworden, auf dem die Ägypterinnen und Ägypter basisdemokratisch über die Zukunft des Landes diskutieren. Sie machen deutlich: Wir sind friedlich und werden nicht den Präsidentenpalast stürmen. Aber wir werden bleiben, bis das Regime von Husni Mubarak unsere legitimen Forderungen verwirklicht hat. Und alle sind zuversichtlich, dass dies passieren wird.

Was ist das Besondere an dieser Bewegung?

Carnegie Middle East Center
Im Interview: 

AMR HAMZAWY, 43, in Kairo geboren, Politologe. Er promovierte an der FU Berlin und ist Forschungsdirektor des Carnegie Middle East Centers, Beirut. Er hält sich in Kairo auf.

Die ganze Gesellschaft, Arme, Reiche und Mittelschicht, Junge und Alte, Männer und Frauen sind auf der Straße. Aber nicht aus ideologischen Gründen. Und es ist auch keine antiwestliche, antiamerikanische oder antiisraelische Propaganda zu hören. Die Menschen sind hier, weil sie die Zukunft demokratisch gestalten wollen - und sozial. Auch das ist neu: dass soziale und politische Themen zusammen verhandelt werden.

Wie das Ganze ausgeht, hängt nicht zuletzt vom Militär ab. Wo steht die Armee gegenwärtig?

Sie macht zweierlei: Sie schützt die Massen vor Gewalt und Plünderungen. Und sie schützt zwar noch das Regime, aber nicht Mubarak. Denn das war ein riesiger Schritt nach vorn, dass die Armee am Montag erklärt hat, dass sie die legitimen Forderungen der Ägypter unterstützt und nicht auf die Demonstranten schießen wird. Die Menschen wissen jetzt: Die Armee sorgt für Sicherheit und wird uns bei der Demokratisierung helfen.

Erfordert eine Demokratisierung Ägyptens nicht auch die Entmachtung des Militärs?

Darauf wird es hinauslaufen. Seit 1952 war die Armee der wichtigste Machtfaktor. Das wird, nach einer Phase des Übergangs, nicht mehr der Fall sein. Vielleicht wird sie versuchen, noch mal jemanden ins Rennen zu schicken, möglicherweise den neuen Vizepräsidenten Omar Suleiman. Aber die Grundlagen des politischen Systems werden andere sein. Mit dem Regieren bis ans Lebensende ist es vorbei.

Aber warum sollten die Militärs freiwillig ihre Macht aufgeben?

Die Menschen sind nicht deshalb auf der Straße, um am Ende wieder von einem General regiert zu werden. Das sehen auch die Militärs. Und sie agieren wirklich nicht im politischen Sinne.

Da Sie eine Restauration der alten Verhältnisse ausschließen - in welchem Zusammenhang wird man Ägypten und Tunesien 2011 später einmal stellen: Iran 1979 oder Osteuropa 1989?

Dieses Gerede, dass der Aufstand in Ägypten eine islamistische Wende nehmen könnte, ist völlig haltlos. Davon bemerkt man nichts auf der Straße. Dort aber steht die schweigende Mehrheit, von der wir wussten, dass es sie gibt und die sich zuvor nicht in die Politik eingemischt hat.

Die Muslimbruderschaft spielt keine Rolle?

Sie hat zwar zu dem Aufstand beigetragen, aber nicht in einer tragenden Rolle. Viel wichtiger sind die Netzwerke der jungen Ägypter. Und die Forderungen, die an die Adresse des Regimes und des Militärs gestellt werden, sind keine islamistischen. Die Bürger haben den Traum eines demokratischen, besseren Ägyptens, so wie die demokratischen Bürgerbewegungen in Osteuropa oder Südamerika.

Von koptischen Ägyptern ist durchaus die Furcht zu hören, die Muslimbruderschaft könnte doch die Macht übernehmen.

Die Muslimbruderschaft ist eine politische Kraft im Land und kann sich am demokratischen Wettbewerb beteiligen - aber unter demokratischen Bedingungen. Dazu gehört der zivile Charakter von Staat und Gesellschaft. Und dazu gehört, dass alle Ägypterinnen und Ägypter, ob muslimisch oder christlich, dieselben Rechte haben, auch das Recht, für alle öffentlichen Ämter zu kandidieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • K
    KFR

    Solange Europa und USA der Suez-kanal und Antiquitäten, gegeneinander Auspielen der Staaten ( auch Israel ) wichtiger sind als demokratisch Strukturen, solange den Unternehmungen die guten,erfolgreichen Kontakte mit den Seilschaften wichtiger sind... wird sich keine gar nix tun!

  • Z
    Zafolo

    Als ein freiheitsliebender Mensch kann ich nur stolz und gerührt sein vom Mut und der Entschlossenheit der Menschen in Tunesien und Ägypten. Wir stehen auf ihrer Seite und hoffen und bangen für sie.

     

    Das sind historische Momente, nur zu vergleichen mit der Revolution 1989 in Rumänien oder vielleicht der Unabhängigkeit der USA. Die arabischen Länder sind ein sehr wichtiger Teil unserer Zivilisation, ohne die arabischen Wissenschaftler und Denker hätte Europa die Nacht des Mittelalters vielleicht nie verlassen. Wir verdanken den Menschen im Süden des Mittelmeeres weit mehr als vielen bewußt ist.

     

    Diese Entwicklung kann an der Umgebung Ägyptens nicht vorbeigehen, das ist unausweichlich. Das bedeutet, dass auch die ungerechten, gewaltsamen und unmenschlichen Verhaltensweisen Israels in Palästina keinen Bestand haben können. Israel muß einsehen, dass es ohne Wohlergehen und Freiheit der Nachbarn keine Sichereit haben kann. Kein Friede ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Frieden.

     

    Ziemlich unangenehm bedeindruckt bin ich von Äußerungen solcher Figuren wie Westerwelle. Da scheint es eine Menge Angst vor wirklicher Demokratie und Freiheit zu geben. Das ist feige, heuchlerisch und niedrig. Menschen, die für ihre Freiheit eintreten, für grundlegende Bürgerrechte und grundlegende soziale und wirtschaftliche Perpektiven, verdienen die volle Unterstützung jeder Nation, die sich zu Recht demokratisch nennt. Eine Demokratie in Europa kann und darf sich nicht auf eine Diktatur im Nahen Osten stützen, auch wenn die Diktaturen vermutlich so manchem Mitglied deutscher Eliten ein dickeres Auto ermöglicht haben.

     

    Der Umbruch dort hat meines Erachtens noch eine andere Bedeutung: Wir werden in Zukunft in einer Welt leben, in der die ganz reichen Nationen sich mit einem etwas kleinerem Stück vom Kuchen der Ressourcen und Rohstoffe zufrieden geben müssen. Auch das ist wohl einer der Gründe des Wandels. Und das ist gut, auch für uns, denn es liegt keine menschliche Würde darin, im Überfluß zu schwelgen während der Nachbar im Elend um seine Existenz kämpft. Ich wünsche mir von uns selber, von meiner deutschen Gesellschaft, ein bißchen mehr Würde, ein bißchen mehr Stolz, ein bißchen mehr Mut für eine bessere Zukunft. Für eine Zukunft in der Menschen frei und zuversichtlich leben können und jeder das Beste aus seinem Leben machen kann.

  • HP
    Horst Pachulke

    Gibt es eigentlich irgendwo in Deutschland Solidaritätsdemonstrationen für die Ägypter?

    Würde gerne teilnehmen :)

  • M
    mfg

    Prinzipiell würde man wohl auch gerne hören wie Mubarak sich am runden Tisch äußert.

     

    Weiterhin wichtig ist wohl die Vermeidung von Chaos und Plünderung - da steht sich Bevölkerung schlechter als vorher.

     

    Die Steigerungsraten für Nahrungsmittel und Öl an den Börsen ??? sind . Besonders in dieser Situation für eine komplett neue Regierung ein grosses Manko.

  • EB
    Eric Boule

    Die breiten Menschenmassen halten sich nicht mehr zurueck und haben ihren Angst vor dem alten Regim verloren.Es muesste eines Tages passieren,man kann nicht generationenlang eine Miliarde von Menschen ihre Grundrechte enthalten weil die USA+EU das so wollen.

     

    Hoechste Zeit das die EU ihre Politik im Eigeninteresse aendert und den Demokrationsprozess unterstuetzt,damit der alte Plan von Adenhauer+DeGaulle wirklichkeit wird.Ein Europa in Frieden,Wohlstand und gute Zusammenarbeit mit den Laendern+Kontinenten rundherum.Jeder wird davon profitieren mit Handel+Wohlstand.Dann koennen auch die miesen Zukunftsplaene fuer Europa (20-30Jahre) geaendert werden in eine bessere Zukunft

  • B
    bauagent

    Wenn man bedenkt, wie diese Menschen unter dem von den USA installierten Despoten gelitten haben, kann man sich eines gewissen Mitleids für die Menschen angesichts der aktuellen Entwicklung nicht entziehen.

     

    Da springt ein angeblich im Hausarrest eingesperrter

    El Baradei vor allen erreichbaren Kameras herum, um sich als Befreier feiern zu lassen. Daraufhin holt er sich Rückendeckung bei den " Alliierten ", den USA und Großbritannien, um das Kanninchen aus dem Hut zu zaubern.

     

    Der ehemalige Gehimdienstchef und Mubarak Vertrauter Oman Suleiman soll die Übergangsregierung übernehmen und demokratisierende Schritte einleiten. Wäre es nicht zum weinen, man müsste von ganz großem Hollywood-Kino sprechen.