08/15: Eine Suche nach dem Mittelmaß
Nullachtfünfzehn kennt jeder. Hat irgendetwas mit der Standardisierung eines Maschinengewehrs zu tun. Aber was ist es heute?
Vielleicht gehört das Streben zum Menschen. Er strebt nach dem Größten, Wichtigsten, Besten. Dem anderen Job. Der anderen Liebe.
Wie schön wäre es, mal nicht zu streben. Zumal im Sommer. Bei dieser Hitze.
Die taz.am wochenende lädt Sie ein, sich durch das Mittelmaß zu lesen: in einer 08/15-Ausgabe, im achten Monat des 15. Jahres in diesem Jahrtausend.
Nullachtfünfzehn, Mittelmaß, Durchschnitt – was ist das eigentlich?
Vielleicht steckt es in dieser Annäherung an eine Großmutter:
Du hast geschnarcht in der Nacht, röchelig und laut. „Lauter als ein Mann“, haben wir gesagt, weil dich das geärgert hat. Du hast diese Unterscheidung noch gemacht: Mann schnarcht, Frau schnarcht nicht. Du hast Röcke getragen, Röcke übers Knie, und sonntags hast du dir eine Brosche angesteckt. Nach der Kirche hast du oft angerufen, kurz nach elf war es da, und deine Frage meistens gleich: „Hast schon was gegessen?“
Hunger war deine Sorge. Du hast sie mitgenommen aus den frühen Fünfzigern und aus den beiden Jahrzehnten davor, über die du irgendwann nicht mehr gesprochen hast. „Ich kann’s nicht mehr hören“, sollst du gesagt haben, Kriegsgeschichten, nicht schon wieder Hitler. Morgens bist du aufgestanden mit einem Seufzer. „Aaah-ja“ hast du gemacht und dann bist du noch sitzen geblieben auf der Bettkante, vor der die Hausschuhe standen für den Tag. Du hattest eines deiner Nachthemden an: Lang, weiß und bestickt.
Du bist zur Toilette rüber, über den Teppich geschlurft, hast die Tür zur Toilette offen stehen lassen und was erzählt. Was du geträumt hast vielleicht. Oder du hast einfach deine Sätze aufgesagt: „Es ist ein Kreuz.“ „Herrgott, nee.“ „Jetzt geht’s los, in die Hos’.“ Dauernd hast du gedichtet, Dichten war deine Selbstunterhaltung, dein Übergang zur nächsten Tätigkeit, Aufbruch!, Aufstehen! – Dichten war dein Espresso. „Gleich gibt’s Mar-me-lade. Sonst-ist-das-Le-ben fa-de.“
Drei Zuckerwürfel hast du dir in den Kaffee getan und ordentlich Kondensmilch dazu, zwischen Marmelade und Brötchen war eine Schicht Becel geschmiert. „Becel ist gesünder als Butter“, hast du gesagt, aber im Kühlschrank hattest du beides, Becel und Butter, und immer auch Biskin und Palmin.
Wie die Geschichte von Annabelle Seubert weiter geht, erfahren Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. August. Lesen Sie vom Ich, vom Du, vom Er, Sie, Es. 14 Seiten, die der Monotonie gewidmet sind, der Poesie der Wiederholung. Mit Geschichten, die erzählen, wo das Mittelmaß lebt und warum es dort sehr angenehm ist. Wir haben erfahren, wie Standardisierung unseren Alltag erleichtert. Wir waren in Deutschlands Durchschnittsgemeinde. Und bei Erika Mustermann.
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