piwik no script img

… durch Magersucht und Bulimie

betr.: „Künast zieht gegen Dickmacher zu Felde“ (Hersteller von Kinderriegeln oder Softdrinks weigern sich, das Fett zu reduzieren und die Portionen zu verkleinern), taz vom 2. 12. 03

Wenn Sie wüssten, wovon Sie reden, Frau Künast, dann würden Sie nicht über dicke Kinder sprechen. Denn, dass sie zu dick sind, das dürfen sich nicht nur die Über- oder Normalgewichtigen, sondern mittlerweile sogar untergewichtige Mädchen in Schule, Medien und oft auch von ihren eigenen Eltern anhören. Doch Gott sei Dank, der Zug ist noch nicht abgefahren. Auch Politiker können noch aufspringen.

[…] Dass Untergewicht gefährlich ist, gefährlicher als Übergewicht, ist für Ernährungswissenschaftler eine Binsenweisheit, bleibt in unserer Gesellschaft aber trotzdem wohl behütetes Geheimnis. Wer sagt den 3,7 Millionen Deutschen (laut dem Deutschen Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik), die gefährliches Untergewicht haben, dass sie zu dünn sind? Die meisten Kinder wissen sehr wohl, wie viele Kalorien Schokoriegel und Pizza haben. Was 50 Prozent aller Mädchen unter 15 Jahren nicht wissen, ist, dass sie Normal- oder sogar Untergewicht haben, während sie sich für zu dick halten. In einer Überflussgesellschaft wie dieser sitzen junge Frauen vor überfüllten Kühlschränken und verhungern. Die Hauptverantwortung hierbei liegt bei den Medien, der Mode- und Kosmetikindustrie und den Politikern, die einen (Schoko-)Riegel davor schieben könnten. In Frauenzeitschriften wird alljährlich erklärt, wie (lebens-)gefährlich Magersucht und Bulimie für den Körper sind. Doch auf den gleichen Seiten sind eindeutig untergewichtige Models abgebildet und geben Schönheitstipps.

Frau Künasts Vorschläge gehen also völlig am Problem vorbei. Es muss nicht über die Einstellung zur Ernährung oder Bewegung nachgedacht werden, sondern über die Einstellung zum eigenen Körper. Durch das kranke Schönheitsideal weiß doch kaum noch jemand, was tatsächlich dick oder was doch zu dünn ist. Der Body Mass Index (BMI) ist die derzeit beste Methode, das herauszufinden (Gewicht in kg : [Größe in m][2]). Während ein BMI zwischen 19 und 25 normal ist, wird bei einem BMI unter 17,5 von Magersucht gesprochen. Nur die Schönheitsindustrie wird Ihnen danken, Frau Künast. Haben doch nun auch Sie die Räder der kommerziell entwissenschaftlichten Sexismus-Maschinerie geölt. Schade.

CHRISTINA MUNDLOS, Kassel