piwik no script img

„ Geist und Analyse verbinden“

■ Interview mit der Bremer Hochschullehrerin und Kongreß-Referentin Annelie Keil / Von den Maya lernen

taz: War dieser Kongreß eine Art Kirchentag für Spirituelle?

Annelie Keil: Wir sind ja heute froh, daß sich auch die Kirchentage verändert haben, so daß nicht mehr nur die Kirche bestimmt, was diskutiert wird. Die evangelischen Kirchentage sind heute zu einem Ort der sozialen Basisdiskussion geworden.

Der Bremer Kongreß war kein solcher Kirchentag, weil das Thema Spiritualität nur ein Teil der Diskussion war. Sonst hätte ich mich daran als Referentin auch nicht beteiligt. Es ging um Visionen menschlicher Zukunft. Und diese Zukunft ist ja nicht irgendwann, sondern jetzt. Wenn wir gerade mal nach Gorleben gucken, dann merken wir, daß dort Leute für etwas handeln, das zukünftig notwendig ist.

Beispiel Gorleben: Bei der ersten Platzbesetzung vor 15 Jahren waren die Bündnispartner der Ökologen und Zukunftsforscher doch die politischen Gruppen. Heute kommen Spirituelle aus der ganzen Welt auf einen Bremer Kongreß...

Das Retten der Bäume – zum Beispiel – bleibt ja weiter politisch begründet, weil es mit der Politik zu tun hat, daß diese Bäume nicht mehr leben können. Aber es ist der spirituelle Geist, der uns sagt, daß wir heute die Bäume retten müssen, damit morgen die Kinder noch unter Bäumen sitzen.

Die Leute mit dem politischen Background haben ihre Einstellung ja nicht zu Hause gelassen und reden jetzt spirituell. Bei der Spiritualität geht es doch erstmal nur um die Frage, aus welchem ethischen Geist heraus wir als Wissenschaftler, Politiker, Mediziner oder Psychotherapeuten handeln.

Es gibt einen großen Mangel an Diskussionen, die nicht nur unter Wissenschaftlern, nur in der politischen Szene oder nur in der spirituellen Szene stattfinden. Es gibt keinen Dialog um die Zukunftsfragen, die wir zu lösen haben.

Gab es denn auf dem Bremer Kongreß diesen Dialog?

Da waren Leute mit unterschiedlichen Interessen. Manche wollen nur wiederfinden, was sie ohnehin schon wissen. Andere kommen, weil sie wirklich eine Frage haben und manche sind auf der Suche und fahren heute auf diesen und morgen auf einen anderen Kongreß.

Und es gibt ein großes Desinteresse an der Politik. An unserer Uni wählen noch ganze zehn Prozent der Studenten. Das finde ich dramatisch. Aber die sind ja nicht alle unpolitisch, sondern sie finden sich in den politischen Gruppen nicht mehr genügend dargestellt. Und dies müssen wir zusammenführen: Die politische Frage an die gesellschaftliche Zukunft – woher kommt der Geist und woher die Analyse?

Hat sich diese Verbindung gefunden?

Ja, wir haben heute zum Beispiel den Fachbegriff psychotherapeutische Medizin, das wäre vor zehn, 20 Jahren noch gar nicht denkbar gewesen. Wir haben in den USA den Begriff „ökologische Medizin“. Da sehen wir, daß die geisteswissenschaftlichen Dimensionen langsam in die Naturwissenschaft einwirken.

Ich war auf dem Kongreß Teilnehmerin des Symposions Heilen. Da war ein Arzt und Psychotherapeut aus München, Wolf Büntig, der sich wissenschaftlich mit dem Thema Spontanheilung auseinandergesetzt hat. Und ich würde sagen: Es gibt gar nichts anderes als Spontanheilungen, weil niemand wissenschaftlich nachweisen kann, ob der medizinische Eingriff gewirkt hat. Immerhin ist es der Patient, der mit den Eingriffen etwas macht.

Und dann hat an dem Symposion Reinhard Flatischler mitgewirkt, ein Musiker. Der sagt zurecht, ein wesentliches Moment von Krankheit ist, daß die Leute ganz schön von ihren Beinen kommen, daß sie ihren eigenen Rhythmus nicht halten können. Ich kann das übersetzen: Ein Schichtarbeiter ist gezwungen, seinen biologischen Rhythmus dem sozialen Takt des Arbeitsrhythmus permanent entgegenzusetzen. Das ist aber nicht nur ein körperliches Problem, sondern ein unglaublicher Einbruch in seine Beziehung. Die meisten Schichtarbeiter haben unheimliche Probleme mit sozialen Kontakten, denn immer, wenn sie schlafen, sind die anderen wach. Und solche Konsequenzen können wir uns besser klarmachen, wenn uns am eigenen körperlichen Rhythmus gezeigt wird, wie schnell wir aus dem Takt und ins Stolpern zu bringen sind.

Daß es in den etablierten Wissenschaften Schritte aus dem rein funktionalen Ursache-Wirkungs-Denken heraus gibt, ist nicht neu. Die Frage ist doch, ob es auf der anderen Seite, bei den spirituellen Bewegungen, auch einen Schritt auf die nüchterne Wissenschaft zu gibt. Haben sich die beiden Richtungen in Bremen getroffen?

Was wir hier in Deutschland spirituelle Szene nennen, hat mit Spiritualität nicht unbedingt etwas zu tun. Das ist eine Suche, bei der die Leute viele, und manchmal auch merkwürdige Wege gehen. Ich hoffe, daß sie dabei auch ihre Vernunft nutzen.

Für die Maya-Priesterin Calixta Gabriel Xiquin ist das jedenfalls kein Problem. Denn diese unglaubliche Maya-Kultur hat Wissenschaft und Spiritualität immer zusammen gesehen.

Können wir das erlernen?

Calixta macht ja hier nicht ihre Rituale. Sie repräsentiert ihren kulturellen Hintergrund – mehr kann man auf einem Kongreß nicht tun. Sie sagt, das hat uns geholfen, 500 Jahre spanischen Imperialismus ein Stück weit zu überleben.

Welchen Ratschlag hat die Spiritualität für die Zukunft?

Da saß auf dem Podium zum Beispiel Floyd Westermann, ein Sioux-Indianer, der sich im American-Indian-Movement engagiert hat: kein Wissenschaftler, kein Spiritueller in dem Sinn, daß er daraus einen Job gemacht hat, sondern jemand, der singt. Er sagt: Jede Entscheidung, die wir heute treffen, wirkt sieben Generationen – bis ins siebte Glied heißt es ja auch in der Bibel. Die zentralen Botschaften haben alle großen Religionen gemeinsam. Es bleibt aber die Frage: Wie machen wir uns wirklich klar, daß wir Gäste auf dieser Erde sind, daß die ganze Erde ein einziger lebendiger Organismus ist – wenn wir den Regenwald abholzen, passiert auch hier etwas.

Daß wir in einer Welt leben, definieren ja auch die Kapitalisten – eine Welt, ein Markt. Diesem Begriff müssen wir eine andere Vorstellung gegenübersetzen: Unsere eine Welt lebt davon, daß das Andere, die andere Farbe, die andere Sprache, die andere Kultur, die andere Lebensform wirklich akzeptiert wird.

Und übernommen wird?

Ich war viel bei den Indianern, aber eine richtige Schwitzhütte kann niemand nachmachen. Das ist auch das Tolle. Selbst wenn sie einem das zeigen, sie tricksen einen immer aus. Das, was ihnen wirklich heilig ist, zeigen sie dem weißen Mann nicht. Und auch nicht der weißen Frau. Das bleibt ein Geheimnis.

Und das macht es dann für den weißen Mann und die weiße Frau auch so attraktiv, sich weiter damit zu beschäftigen?

Für manche mag das ein Interesse sein, zu solch einem Kongreß zu gehen. Nur dann haben sie hier nichts gelernt. Calixta hat mich zum Beispiel gefragt, ob sie im Kongreß-Zentrum ein kleines Feuer zu ihrer Vorbereitung machen kann. Und ich habe gesagt: dann kommt nicht der Great Spirit, sondern die Feuerwehr. Das geht hier nicht. Sie hat dann ihre kleine Zeremonie im Hotelzimmer für sich allein gemacht. Da kann sie sich ganz gut umstellen.

Fragen: Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen