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DDR-Biografien Ostfrauen zwischen Staat und Familie

Die Autorinnen Anja Reich und Anne Rabe haben beide ein Buch über Frauen geschrieben, die in der DDR geboren sind. Sie erzählen darüber, wie Familie und Staat Einfluss auf die unterschiedlichen Lebenswege der Prot­ago­nis­t*in­nen hatten. Die beiden Autorinnen kommen zum taz-Kongress am 27. April.

Trotz unterschiedlicher Lebenswege bewegen sich beide Protagonistinnen am Rand der Dysfunktionalität Miikka Luotio/unsplash

| Das Leben zweier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können: Die Protagonistin Stine im Roman „Die Möglichkeit von Glück“ von Anne Rabe. Und Simone, deren Lebensgeschichte die Berliner Journalistin Anja Reich in ihrem Buch „Simone“ erzählt.

Die Figur der Stine in Rabes erstem Roman ist stark an die Biographie der Autorin angelehnt. So war Stine drei Jahre alt, als die Mauer fiel, wie Rabe selbst. Auch andere biographische Eckdaten von Protagonistin und Autorin überschneiden sich.

Simone hingegen gab es wirklich, sie war eine enge Freundin der Autorin Reich – und in ihren Zwanzigern, als sie sich Mitte der 1990er Jahre das Leben nahm. In „Simone“ begibt sich Reich auf die Suche nach dem Warum hinter dem unvorhergesehenen Suizid.

Auch wenn beide Bücher auf den ersten Blick nichts miteinander verbindet, gibt es eine Gemeinsamkeit. Beide Protagonistinnen kommen aus dem Osten. Und auch wenn die eine noch ein kleines Kind war, als die Geschichte einsetzt, und die andere bereits eine junge Frau, als ihre Geschichte endet, bewegt sich das Leben beider Frauen am Rande von Dysfunktionalitäten: familiärer, persönlicher, staatlicher.

Simone im ständigen Konflikt mit sich selbst

Familie und Staat hatten auf unterschiedliche Weise prägenden Einfluss auf die Figuren. Stine leidet unter der physischen und psychischen Gewalt ihrer Eltern, Simone scheint sich in ihrem eigenen Lebenskosmos nur schwer zurechtzufinden und befindet sich in einem ständigen Konflikt mit sich selbst.

Die Ursachen dafür versuchen beide Autorinnen in ihren Büchern herauszufinden. Dabei wirkt der Mauerfall in beider Frauenleben wie eine Zäsur.

Das geregelte Leben von Stines Eltern wird auseinander gerissen, der Vater, so jedenfalls erzählt es die Ich-Erzählerin Stine, hängt der Ideologie des Sozialismus noch lange nach und versucht, seine Ansichten auf die Tochter und ihren Bruder zu übertragen. Die Verwirrung, die Stines Eltern – wie so viele Frauen und Männer ihrer Generation damals – ab Herbst 1989 erleben, gehen an der Tochter nicht spurlos vorüber. Sie wird in den Strudel des Lebens ihrer Eltern gerissen – mit Folgen, welche die Tochter von den Eltern entfremden.

Getrennte Lebenswege

Die Autorin Anja Reich beschreibt, wie sie und ihre Freundin Simone sich nach der Wende voneinander entfernen. Eine Entfernung, die mit den unterschiedlichen Lebenswegen der beiden Frauen zusammenhängt: Während Anja Journalistin wird, sich verliebt, heiratet, ihr erstes Kind bekommt, jettet Simone scheinbar rastlos um die Welt. Anjas Leben verläuft weitgehend geradlinig, das von Simone nimmt viele Kurven, überwindet Klippen, bekommt Risse.

Manchmal sehen sich beide Freundinnen lange nicht, aber wenn sie sich wiedertreffen, ist es so, als hätten sie sich erst vorgestern das letzte Mal gesprochen. Der überraschende Suizid von Simone trifft die Freundin hart, Jahrzehnte später begibt sie sich mit „Simone“ auf die Suche nach den Ursachen der Verzweiflung ihrer Freundin am Leben.

Die DDR ist in beiden Büchern deutlich, aber unterschiedlich präsent. In Rabes Roman steht sie als familiäre Gewalt wie ein Monstrum mitten im Raum. Deren Ursache macht die Autorin zu großen Teilen in der Macht des Staates aus, der Familien nicht entrinnen konnten. Diesen Bezug bestreiten allerdings nicht wenige Ostdeutsche und verweisen darauf, dass nach dieser Lesart nahezu alle Ostdeutschen familiäre Gewalt erfahren haben müssten. Das ist nachweislich nicht der Fall.

Simones Eltern spielten in einer anderen Liga, sie gehörten der DDR-Elite an, legten die Erfolgsmesslatte überaus hoch an, für sich selbst und für ihre Tochter. Die konnte den Ansprüchen vielfach nicht genügen, litt unter Depressionen, die niemand bemerkte, und fühlte sich allein gelassen. Freunde und Bekannte wiederum konnten mit ihren Stimmungsschwankungen nur schwer umgehen – ein Teufelskreis.

Anne Rabe und Anja Reich sprechen auf dem taz lab am 27. April. Alle Infos und Details gibt es in unserem tazlab-Infobrief – einfach hier anmelden.