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taz FUTURZWEI

Das urbane Ich im wilden Wald Arche Arno

Ursprünglich wollte unser Autor in seiner Waldhütte allein sein. Die Natur hatte andere Pläne – Giftspinnen, Hornissen, Luchs und Wildschwein inklusive.

Will das urbane Ich nicht unbedingt als Nachbarn haben – die Wildsau Foto: picture alliance / dpa

taz FUTURZWEI | Es führt leider kein Wanderweg daran vorbei. Ich muss einmal mehr von meiner Holzhütte im Wald erzählen. Der Wald liegt vergleichsweise hoch, auf etwa 500 Metern. Mittelgebirgshöhe, sozusagen, und die Hütte – manchmal nenne ich sie auch »Chalet« oder, wenn ich mal wieder Cicero gelesen habe (den echten, nicht die gleichnamige Politquatschpostille aus Berlin), mein »Tusculum« – ist tatsächlich nur eine hübsche Hütte am Hang.

Sie liegt in einem Ferienwohngebiet, das Anfang der Siebzigerjahre ausgewiesen wurde, was heute niemand mehr tun würde. Naturschutzgebiet. Wobei die Häuser dort eher vor der Natur geschützt werden müssten, die sich das Gebiet – Ruine für Ruine – mit tentakeliger Brombeergeschwindigkeit allmählich wieder einverleibt. Grüne Verdauung.

Weil jede Vertiefung in der Holzwand des Holzhauses von nistwilligen Mauerbienen okkupiert war, hat mein urbanes Ich überall Insektenhotels aufgehängt. Die Dinger waren schneller ausgebucht als der »Frankfurter Hof«, wenn Buchmesse ist. Alles fein. Zunächst. Nach ein paar Wochen aber werde ich früh am Morgen von hektischem Geklopfe geweckt. Gucke aus dem Fenster und sehe zwei Buntspechte, die sich an den Larven im Insektenhotel wie an einem Frühstücksbüfett bedienen – und dann, als wären sie Keith Moon und Pete Townshend 1973 im Bonaventure Hotel in Montreal, das komplette Hotel zerlegen.

Nun würde, um die Brut zu schützen, mein urbanes Ich ein Tuch über die Öffnungen hängen. Mein ländliches Ich hat das verhindert. Es sei, wie es ist. Die Vögel müssen auch etwas fressen, zumal der drollige Siebenschläfer und ein muskulöses Waldeichhorn sich gerne über das reguläre Vogelfutter hermachen. Sollen die Mauerbienen künftig anderswo einchecken.

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Mein ländliches Ich ist down mit den spider bros

Oder die Ameisen. Ameisen, Ameisen, Ameisen. Das ist ihre Welt, in der zufällig mein Haus steht. Also wandern sie quer durch das Esszimmer. So richtig dicke, wehrhafte Waldameisen. Nicht kreuz und quer und überall, in strenger Marschordnung, aber immerhin. Mein urbanes Ich geböte hier gerne Einhalt. Mein ländliches Ich lässt den Viechern ihren Lauf. Tun ja nichts. Desgleichen die Spinnen. Für mein urbanes Ich waren das immer Angstgegner. Hier draußen wimmelt’s nur so vor Spring-, Zitter-, Gift- und Würgespinnen jeder Größenordnung. Mein ländliches Ich ist völlig down mit den spider bros, wie es sie nennt. Weil die mir die Insekten vom Leib halten.

Ausnahme ist der gemeine Holzbock im wilden Gras. Weil mir der Rasenmäher die Sicherungen raushaut (buchstäblich, nicht sprichwörtlich), mähe ich mit der Sense. Wie der Alm-Öhi oder eben der Sensenmann. Zecken finden das interessant, vor allem meine Hosenbeine, haben ihre Rechnung aber ohne Paketklebestreifen gemacht. Ha!

taz FUTURZWEI N°26

Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

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Insektensterben? Bei mir sterben Insekten nur, wenn die Vögel oder ihresgleichen sie sich holen. Wie Hornissen die Wespen holen. Ansonsten haben sie’s paradiesisch. Ich lasse jedes Kraut wuchern. Unkraut gibt es nicht. Wenn ich nachts das Licht anlasse, sieht‘s am Küchenfenster aus wie in einer Geschichte von H. P. Lovecraft, so irre ist die regelrecht außerirdische Artenvielfalt.

Irgendwas kackt mir jede Nacht vor die Tür

Nachteil: Die Stechmücke. Ich »bringe« keine Chemie »aus«, wie man sagt, sondern das Bacillus thuringiensis israelensis. Es kommt in Tablettenform in die zahlreichen Zisternen rund ums Haus, und dann wird für einen Monat nicht mehr geschwirrt und gestochen. Nicht einmal geschlüpft. Das Zeug sorgt dafür, dass sich der Darm der Larven zersetzt. Klingt nicht nett, aber auch nicht chemisch.

Irgendwas kackt mir jede Nacht vor die Haustür. Das ist der Luchs, meint mein einziger Nachbar. Er kennt auch den Hirsch, der am helllichten Tag über die Straße flaniert, als gehöre sie ihm. Was sie ja auch tut. Weshalb ich den hohen Maschendraht des Vorbesitzers auch nicht durch ein flaches »Modell Bullerbü« ersetzen werde. Sicher ist sicher. Schon allein wegen der Wildschweine.

Ursprünglich wollte ich hier nur meine Ruhe, um ungestört meiner Arbeit nachgehen zu können. Irgendwann merkte ich, wie laut es rings um die Hütte eigentlich ist (Zwitschern, Summen, Gackern, Bellen, Klopfen, Husten, Stöhnen, Schwirren, Fauchen, Tirilieren). Und dann merkte ich, wie viel Arbeit es ist, dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Weil alles mit allem zusammenhängt. Das Leben im Einfachen, es ist sehr kompliziert.

Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°26 erschienen.