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Der Kommentar

Krise der Sozialdemokratie Olaf for Future?

Die Sozialdemokraten haben keine politische Gegenwartsidee und sind europaweit im Niedergang. Aber, Überraschung: Der Mann, der mit seinem Stil einen Weg andeutet, ist Bundeskanzler Olaf Scholz.

Olaf Scholz hegt einen oft eher parteifernen und gelegentlich autoritativen Problemlösungs-Stil Foto: Geert Vanden Wijngaert/ dpa/ AP

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 25.07.2023 | Die Sozialdemokratie sei Gesetz geworden – deswegen bewege sie nicht mehr, hat der liberale Denker Ralf Dahrendorf bereits 1983 erklärt. Dieser Befund beschreibt die politische Wirklichkeit der europäischen Sozialdemokratie auch heute noch sehr präzise.

In der ersten Industriellen Revolution haben Arbeiter mit ihren Gewerkschaften und ihrer Sozialdemokratie den Kapitalismus zivilisiert, ihm in der sozialen Marktwirtschaft Zügel angelegt und einen tiefen Sozialstaat als festen Teil der heutigen, demokratischen Verfassungswirklichkeit aufgebaut. Das Versprechen der Sozialdemokratie für Aufstieg, Bildung und menschenwürdige Lebensbedingen für möglichst viele ist heute im Grunde eingelöst. Das gilt nicht im europäischen und schon gar nicht im internationalem Horizont und sicher muss der Sozialstaat gegen Versuche ihn auszuhebeln, befestigt und weiterentwickelt werden. Aber eine ausgebeutete Arbeiterklasse in den Industrieländern, die sich für ein übergreifendes politisches Programm organisieren ließe, die gibt es nicht mehr. Entsprechend ist aus der jahrzehntelang zwischen 35 und 45 Prozent liegenden SPD heute eine Partei mit Zustimmungswerten zwischen 17 und 25 Prozent geworden.

Dieser Verlust an Zustimmung ist kein isoliertes deutsches, sondern ein europäisches Phänomen. Interessant ist, dass Europas Sozialdemokraten auf verschiedenen Wegen versuchen, ihren Niedergang aufzuhalten.

Auch international sieht's nicht rosig aus

In Spanien hat die sozialdemokratische PSOE zwar gerade den Durchmarsch der konservativen PP mit der Warnung vor einer Koalition der PP mit der rechtsradikalen Vox-Partei verhindert. Sozialdemokraten als Bollwerk gegen die Feinde von rechts – aber eine eigene Mehrheit haben sie damit nicht gewonnen. Für eine Regierungsbildung ist man sogar auf die katalanischen Separatisten angewiesen.

In Holland haben die Sozialdemokraten 2017 fast zwei Drittel ihrer Parlamentsitze verloren. Vor einigen Wochen haben sie mit den Grünen eine gemeinsame Wahlliste gebildet, langfristig wollen sie sogar fusionieren. Dieses grün-rote Bündnis als Agentur der ökologischen Transformation hat zwar die Konservativen geschwächt, aber für sich selbst keine Machtperspektive gewonnen. Die Wahlen haben ökologiefeindliche Bauernpopulisten aufgemischt, die gegen die von den Konservativen verfügte Halbierung ihrer Viehbestände revoltieren.

In Dänemark regieren die Sozialdemokraten seit 2021 im Bündnis mit zwei rechtsliberalen Parteien. Sie schränken die Zuwanderung und das Asylrecht massiv ein, rüsten die Armee auf und befestigen den Sozialstaat mit harten Zumutungen an die Anspruchsberechtigten.

In Italien versuchen die Sozialdemokraten mit der jungen, polyglotten Vorsitzenden Elly Schlein eine traditionalistische, linke Alternative zur offen postfaschistischen Fratelli di Italia der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wiederzubeleben.

In Frankreich haben die Sozialdemokraten seit dem Ende der Präsidentschaft von Francois Mitterand keine politische Machtoption mehr. Sie bieten den Franzosen keinerlei politischen Ziele an, die sich nicht auch bei Macron, Melenchon oder Le Pen finden.

In Konkurrenz zu den Grünen?

In der Bundesrepublik haben die Sozialdemokraten durch den Aufstieg der Grünen ihre hegemoniale Rolle in der Linken Mitte verloren. Ihre zögerlichen Versuche sind perspektivlos, die Grünen mit eigener staatstragender Ökorhetorik zurück zu drängen, ansonsten aber weiter zu machen, wie schon immer. Die postfossile Transformation der Wirtschaft treiben, angeführt von Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, die Grünen voran. Die SPD kann seinem Weg, die Strukturen für ökologisches Wirtschaften historisch neu zu ordnen, nur noch folgen – oder sie in Partnerschaft mit der FDP blockieren.

Die Sozialpolitik der SPD ist alte Umverteilungspolitik geblieben, die Sozialleistungen nur monetär immer weiter ausweiten will, was politisch keine erweiterte Zustimmung mehr generiert. Die SPD-Positionen in der Migrations- und Asyl-Politik, in der Europa -Politik und allen anderen Politikfeldern sind undeutlich. Die derzeit 17 Prozent in den Umfragen dürften das Gewicht dieser Sozialdemokratie in der Gesellschaft adäquat wiedergeben.

Der Ansage Ralf Dahrendorfs vom Ende des sozialdemokratischen Zeitalters haben die Sozialdemokraten Europas nichts entgegenzusetzen. Dabei deutet allerdings gerade Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem eher parteifernen und gelegentlich autoritativen Problemlösungs-Stil einen politischen Weg an, der für alle Sozialdemokraten Perspektiven enthält. Seine „Zeitenwende“ in der Russland-Politik reicht zwar bei weitem nicht für einen Sieg der Ukraine. Aber sie stellt die Bundesrepublik mit hohen Zustimmungswerten ohne Wenn und Aber an die Seite des freien Westens, der USA und der Nato und begründet so den Führungsanspruch der SPD neu.

Wenig Originelles im Angebot

In allen übrigen Politikbereichen hat die SPD für die notwendige, strukturelle Weiterentwicklung aller sozialen und gesellschaftlichen Infrastrukturen wenig Originelles anzubieten. Hier läge indes die Chance, ihre historische Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Denn jenseits des ökologischen Umbaus der Wirtschaft haben weder FDP oder CDU und auch nicht die Grünen zukunftsfeste Ideen. Doch bisher zeigt allein der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl Lauterbach, wie es gehen könnte. Er ist dabei, das öffentliche Gesundheitssystem für die nächsten Jahrzehnte in der Qualität der Versorgung und in der Fläche neu und zukunftsfest aufzustellen. Doch hier schauen Scholz und der Rest der SPD zu, wie ihn die Länder - grün, rot oder schwarz geführt – aus populistischen Ängsten gemeinsam ausbremsen, dabei höhere Kosten als notwendig verursachen und so die Qualität der medizinischen Versorgung gefährden.

Mit auf Effektivität, Kostenwahrheit und Versorgungssicherheit setzenden Strukturreformen in allen Bereichen jenseits der Wirtschaft, vom Kindergarten über Bildung, Wohnen, Mobilität bis hin zu einer auskömmlichen Rente und Pflege für alle, könnten die deutschen Sozialdemokraten in der großen ökologischen Transformation neben den Grünen mit einem eigenen Auftrag auch eine tragenden Rolle spielen und damit beispielhaft für alle Sozialdemokraten in Europa vorangehen. So könnten sie Ralf Dahrendorfs Analyse vom Ende des Sozialdemokratischen Zeitalters doch noch als falsch widerlegen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.