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Der Kommentar

Glückwunsch, Herr Wissing! FDP schrumpft Autos

Das Deutschlandticket kommt. Eine sehr gute Nachricht. Es markiert den Beginn einer nicht mehr aufzuhaltenden Verkehrswende.

Foto: dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 08.11.2022 | Das Deutschlandticket kommt. Irgendwann im ersten Quartal 2023 können alle für den Einführungspreis von 49 Euro im Abo sämtliche Angebote des regionalen Bahn- und Busverkehrs in Deutschland nutzen. Das Ticket ist monatlich kündbar. Die Finanzierungslücke in Höhe von 3 Milliarden Euro teilen sich Bund und Länder. Der bisherige finanzielle Einsatz des Bundes für die Finanzierung des Regionalbahnverkehrs und die Weiterentwicklung des ÖPNV in den Ländern wurde damit bis vorerst 2035 deutlich erhöht.

Die Mengenrevolution bei der ÖPNV-Nutzung wird weitergehen, die mit dem 9-Euro-Ticket vor wenigen Monaten eingeleitet wurde. Das Deutschlandticket führt die Republik mitten hinein in die ökologisch notwendige, städtebaulich zwingende und nur staatlich zu bewältigende Verkehrswende. Bislang hat eine mächtige Lobby die tiefgreifende und allumfassende Veränderung des Verkehrsverhaltens und der Infrastruktur durch konsequente Bundespolitik verhindert. Das Deutschlandticket wird den Diskurs aufwirbeln, wird Änderungen im Angebot des ÖPNV faktisch erzwingen. Mobilität wird zu einem öffentlichen Gut, einem Kollektivgut, einem pflichtigen Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge werden, die Teilhabe aller Menschen am öffentlichen Leben sicherstellt. Aufgabe der Verkehrspolitik in der Zukunft wird es sein, diesen Strukturbruch abzusichern und weiterzuentwickeln.

Nun wird man fragen, warum das 49-Euro-Ticket alles ändern soll, nachdem jahrelang nichts ging. Antwort: Diesmal ist einfach vieles anders. Die Nutzer werden selbst die Vorteile erlebt haben, die die Politik bei den ohnehin hohen Zusatzbelastungen durch die Energiekrise dann nicht wieder zurücknehmen kann. Die großen Krisen treiben eben manchmal auch die Reformen.

Wenn das so kommt, dann wird der Primat des Automobils und der individuellen Mobilität mit seinen negativen Wirkungen auf das Leben vor allem in den Städten, aber auch auf dem Land, gebrochen. Das klassische Auto wird aus den Städten und unserem täglichen Leben nahezu verschwinden. Es wird durch einen künftig für alle und überall nutzbaren ÖPNV und das Fahrrad ersetzt.

Auf dem Weg in die Mobilität der Zukunft

Die Umstellung der gesamten Verbrenner-Flotte auf E-Antriebe ist unrealistisch, ein politisch motivierter Selbstbetrug. Die KFZ-Flotte der Zukunft wird zwar elektrisch betrieben, mit Batterien oder H2 versorgt, aber sie wird viel kleiner sein. Sie wird von im besten Fall öffentlichen oder genossenschaftlichen Sharing-Modellen und selbstfahrenden Mobilitäts-Dienstleistern geprägt werden. Wer dennoch weiter auf individuelle KFZ-Mobilität setzen will, der wird dafür auch in vollem Umfang zahlen müssen.

Die Autoindustrie hat diesen Entwicklungstrend in ihre Modellepolitik längst eingepreist. Ihre neuen E-Modelle sind superschnelle, superschwere, supergroße und superteure Luxus-Autos, die für den Massengebrauch nicht geeignet und für Normalbürger unbezahlbar sind. Das von der EU kürzlich festgelegte Ende der Zulassung neuer Verbrenner ab 2035 schafft für diese Entwicklung Planungssicherheit.

Das Versprechen von Mobilität für alle kann und wird in Zukunft nur noch von der öffentlichen Hand eingelöst werden. Diese Entwicklung ist für das Eindämmen des Klimawandels erforderlich. Es muss sogar davon ausgegangen werden, dass sich die Entwicklung beschleunigt und schon vor 2035 ein großer Teil der aktuellen Autoflotte durch immer strengere internationale Verbrauchsnormen vorzeitig stillgelegt werden wird.

Auf dem Weg in die Mobilität der Zukunft wirkt die Einführung des Deutschlandtickets wie ein Katalysator für überfällige Entscheidungen. Jetzt kann mit Rückendeckung der begeisterten Deutschlandticket-Nutzer die Arbeit beginnen.

Der Flickenteppich der Angebote muss in ein immer und überall anschlussfähiges öffentliches Mobilitätsangebot umgebaut werden. Davon ist der ÖPNV aber heute noch weit entfernt. So wird es bei der Einführung des Deutschlandtickets zunächst sogar zu Angebotskürzungen kommen, weil der ÖPNV unterfinanziert und durch die neuen Ströme der Reisenden völlig überlastet sein wird. Es gibt nicht genug Fahrer, fahrerlose Busse sind noch nicht wirklich nutzbar, konventionelle Busse müssen gekauft werden, Bahnen haben jahrelange Lieferzeiten und brauchen eine bessere Infrastruktur.

Selbst in einem FDP-geführten Verkehrsministerium ist Stillstand kein Naturgesetz

Alle Bahnen, Busse und sonstigen klimaverträglichen Verkehrsmittel sind als Gemeinschaftsprodukt, also als Gesamtnetz im Deutschlandtakt zu planen und anzubieten, so dass überall vernünftige Anschlüsse gewährleistet sind. Dies erfordert Flexibilität in den Köpfen der Manager und eine gute Zusammenarbeit in der Verkehrsbranche.

Es ist selbstverständlich, dass der Großteil der nun anstehenden Investitionen in den Ausbau des ÖPNV und die laufenden Betriebsausgaben aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden muss. Was für den Ausbau der Straßeninfrastruktur bisher selbstverständlich gewesen ist, muss in Zukunft für den Ausbau des ÖPNV gelten. Die wegen ihrer Kurzfristigkeit bisher zwischen Bund und Ländern umkämpfte Neufestsetzung der Regionalisierungsmittel (die Finanzspritze für die Finanzierung des Regionalbahnverkehrs und die Weiterentwicklung des ÖPNV in den Ländern) muss in ein überall geltendes verbindliches Finanzierungsmodell für mehrere Jahrzehnte beim Bund und den Ländern überführt werden.

Jetzt ist noch die Frage: Warum nicht gleich kostenlosen Nahverkehr für alle anbieten? So beeindruckend und zum Umstieg in den ÖPNV motivierend die 0-Euro-Tickets in einigen Städten und sogar in ganz Luxemburg sein mögen, ein Kostet-nichts-Modell befördert die Achtlosigkeit gegenüber den Angeboten des ÖPNV und schwächt die Bereitschaft der Leute zur Mitverantwortung. Und: Auch Busse und Bahnen belasten das Klima und verbrauchen Ressourcen. Deshalb ist es sozial fair und angemessen, die Leute an der Finanzierung zu beteiligen. Niemand käme heute auf die Idee, die Versorgung mit dem öffentlichen Gut Trinkwasser oder die Entsorgung von Abwasser zum Nulltarif zur Verfügung zu stellen.

Glückwunsch, Herr Verkehrsminister Wissing, dass Sie mit Ihrem nachdrücklichen Eintreten für das Deutschlandticket diesen wichtigen Schritt in Richtung Verkehrswende und ein umsetzbares Beispiel für eine kluge, ökologisch sinnvolle Revision und Weiterentwicklung der gesamten Daseinsfürsorge in der Republik auf den Weg gebracht haben! Das zeigt: Stillstand ist auch in einem FDP-geführten Verkehrsministerium kein Naturgesetz. Und soziale Verantwortung und demokratischer Liberalismus müssen kein Gegensatz sein.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.