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25.10.2019 , 13:28 Uhr
Eine derartige Haltung kann insbesondere in Xavier Naidoos „Marionetten“ bemerkt werden. Leonie Feuerbach hat gezeigt, dass die Vorstellung des manipulativen Puppenspielers „ein uraltes antisemitisches Klischee [ist]“. Im Verlauf des Liedes werden vergleichbare Narrative genannt, wodurch Naidoo einen Rahmen rechter Ideologie aufbaut, in dem sich die Aussage des Textes über die westliche Konsumgesellschaft und ihrer Eliten einfügt. Naidoos Anspielung auf die „Pizzagate“-Verschwörung macht dies besonders deutlich. Dieses Narrativ charakterisiert als Gelenkstelle des Songs die Adressat*innen von Naidoos Kritik als Politiker*innen aus dem nicht-konservativen Spektrum und bringt das Stereotyp des angeblich im Hintergrund agierenden „Finanzkapitals“ ins Spiel. Naidoos „Nabelschnur Babylons“ kann sich neben der Umschreibung der Konsumgesellschaft aus Bob Marleys „Babylon By Bus" auch auf den Turmbau zu Babel beziehen, ein Narrativ, das in manchen religonswissenschaftlichen Diskursen mit dem Motiv des außerwählten Volkes zusammengebracht wird, das von Gott für seine Tat bestraft wird. Naidoo greift hier also ein Element jüdischer Identitäten auf, das er allerdings verletzend umdeutet. Die Bezeichnung „Volksverräter“ spielt auf Wendungen aus der PEGIDA-Bewegung an. Gegenüber den Adressat*innen favourisiert Naidoo zum Ende des Textes unmissverständlich die gewaltsame Tötung. Dies zeigt, dass Naidoo in „Marionetten“ seine Kritik an politischen Handlung mit Sündenbock-Figuren zusammenbringt, ein gewaltsames Vorgehen gegen diese wird als Form der Selbstjustiz verteidigt. Entscheidende Formulierungen seines Textes kokettieren mit Merkmalen, die auch in antisemitischen Narrativen vorliegen. Sie gehen wie manche Kommentare bereits bemerkt haben jedoch auch darüber hinaus und verschleiern ihre antisemitische Tendenz teilweise sehr gut. Wegen dieser Strukturen im Text halte ich die These der Amadeu-Antonio Stiftung über strukturellen Antisemitismus für zutreffend.
zum Beitrag13.10.2019 , 08:22 Uhr
Über Jahre haben rechte Parteien wie die AFD die Möglichkeit erhalten, für vielschichtige soziopolitische und wirtschaftliche Prozesse einfachste „Sündenbock-Figuren“ zu schaffen. Es verwundert mich absolut nicht, dass immer mehr Menschen nun dieser Logik folgen, die „Sündenböcke“ in ihrer Wirklichkeit suchen und töten. Es berührt mich, schürt Furcht und macht mich betroffen, weil mich Gewalt gegen Menschen immer schockiert. Aber wie der Artikel überzeugend dargestellt hat: Rechte Gewalt hat unsere Kultur seit Jahrzehnten begleitet. Wir haben all das Wissen, erzählen jeder neuen Generation vom zunehmenden Antisemitismus, Fremdenhass und Chauvinismus im 19. Jahrhundert, von der durch Rechte verursachten Gewalt auf den Straßen vor dem Aufstieg des Nationalsozialismus, vom Kollektivtod als Resultat des Faschismus, wettern manchmal witzelnd, manchmal ernsthaft gegen das Spießbürgertum der 50er mit seiner Neigung zur Aporie, geben pointierte Parolen weiter („Unter den Talaren, Muff von 1000 Jahren“) und berichten von brennenden Asylheimen im Ostdeutschland um die 1990er Jahre. Wozu machen wir das? Wozu geben wir all dieses Wissen weiter, wenn aus ihm kein Handeln erfolgt? Für viele scheint es totes Wissen zu sein. Totes Wissen, das zu toten Menschen führt.
zum Beitrag12.10.2019 , 17:25 Uhr
Ein begrüßenswerter Artikel, der bisher wenig bekannte Bereiche der Wende aufzeigt. Der äußerst komplexe Prozess der Friedlichen Revolution wird im öffentlichen Diskurs bislang noch sehr einseitig dargestellt. Wie bei vielen Geschichtserzählungen werden auch die zahlreichen (populär)geschichtlichen Darstellungen der Wende-Zeit von bestimmten Motiven dominiert. Manche Phänomene werden zurecht immer wieder thematisiert, weil mit ihnen besonders gut wichtige demokratische Werte angesprochen werden können (z.B. Bilder der Alexanderplatz-Demonstration in Ost-Berlin am 4. November 1989, welche die Vorstellung „sozialer Wandel durch Protest von unten“ anzusprechen helfen). Allerdings haben sich einige Erzählungen bereits zu Klischees gewandelt, so vor allem das Stereotyp eines vermeintlich geschlossenen Handels der SED gegen die Demonstrant*innen. Dass historische Wirklichkeiten ungleich vielschichtiger sind, hat Michael Bartsch überzeugend vermittelt. Die Gefahr der Geschichtsklitterung ist bei einer allzu unkritischen Übernahme des Standpunkts der noch lebenden SED-Granden selbstverständlich gegeben. Der Autor hat jedoch gute Arbeit geleistet, indem er diese Perspektiven deutlich markiert hat. Leser*innen können so durch die gegebenen Informationen einkalkulieren, dass die Aussagen der beteiligten Akteure von bestimmten Faktoren überformt wurden (z.B. die Absicht über die Konstruktion einer „Heldengeschichte“, das Alter des Beteiligten, der möglicherweise verklärende Rückblick etc.). Für mich bleibt der Artikel jedoch zu sehr auf der Ereignisebene. Hier hätte ich mir die Betrachtung weiterer sozialer, kultureller und mentaler Prozesse gewünscht. Dazu gehört nicht nur das durch Glasnost und Perestroika eingeleitete Umdenken in der UdSSR. Fraglich ist, ob das Festhalten an der Gewaltlosigkeit ohne die Friedensbewegungen in der DDR und BRD überhaupt möglich gewesen wäre. Die Betrachtung dieser Strukturen hätte das Bild noch weiter vervollständigt.
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