: „Die Deutschen sind noch viel zu sorglos“
Der Berliner Terrorexperte Berndt Georg Thamm über den Sinn der dauernden Warnungen vor Anschlägen
BERNDT GEORG THAMM, 60, beschäftigt sich seit Mitte der Neunzigerjahre mit islamischem Fundamentalismus und schon vorher mit organisierter Kriminalität. Zudem arbeitet er seit 25 Jahren als Dozent an verschiedenen Landespolizeischulen und ist Autor von mehr als einem Dutzend Büchern zur Sicherheitspolitik.
taz: Herr Thamm, immer wieder beschwören Politiker die Gefahr terroristischer Anschläge herauf. Wie ernst sollen wir die Warnungen noch nehmen?
Berndt Georg Thamm: Sehr ernst, denn die objektive Bedrohungslage in Deutschland ist ernster als allgemein bekannt. Die Deutschen sind noch allzu sorglos. Die Frühjahrsoffensive der Nato und der Einsatz deutscher Tornados in Afghanistan intensiviert die Gefahr von Anschlägen für die Bundesrepublik. Die Menschen haben ein Recht auf eine aussagekräftige Warnung.
Aber aussagekräftig sind die Warnungen eben nicht, stattdessen wird ein diffuses Bedrohungsgefühl erzeugt. Deshalb will die Uni München die Studenten aus sogenannten Problemstaaten bespitzeln.
Ja, eine Güterabwägung ist in diesen Zeiten immer schwierig. Tatsache ist doch, dass sowohl die Attentäter des 11. September 2001 als auch die zwei Kofferbomber von Köln aus dem studentischen Milieu kamen. Wenn es zu entscheiden gilt, entweder die Rechte potenzieller Täter oder die der potenziellen Opfer zu schützen, dann sollte man doch wohl eher Zweites tun und die Rechte der potenziellen Täter einschränken.
Von den Kofferbombern erfuhren die Sicherheitsbehörden erst, nachdem der Anschlag schon misslungen war. Stellt sich nicht die Frage nach der Effektivität der Geheimdienste und verschärfter Sicherheitsmaßnahmen?
Unterschätzen Sie die Schutzorgane nicht. Seit dem 11. September ist die Kompetenz zur islamistischen Bedrohung immer größer geworden, wir haben inzwischen ein Antiterrorzentrum, in dem das Fachwissen zum Terrorismus gebündelt wird. Wissen Sie denn, wie viele Anschläge bereits verhindert worden sind? Und was Maßnahmen wie die verstärkte Überwachung per Telefon oder Videokamera angeht, da gibt es ein völlig falsches Bild. Es macht den Polizisten doch keinen Spaß, in der Privatsphäre fremder Menschen zu wühlen.
Selbst in undemokratischen Staaten wie Russland mit großen Vollmachten für die Sicherheitsorgane gibt es Anschläge. Was nutzen die Verschärfungen?
Wir brauchen gar nicht mehr Verschärfungen, sondern das konsequente Anwenden der bisherigen Gesetze. Wer als Politiker von erhöhter Terrorgefahr spricht, darf nicht wie bisher das Personal der Polizei reduzieren. Ich hoffe, dass sich unsere Sicherheitspolitik nicht anschlagsbezogen entwickelt.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ