: Kalenderbildartiges
Spirituelle Praxis und die Wunder der Exotik: Mit zwei Fotoausstellungen entdeckt das Museum für Kunst und Gewerbe das Religiöse
von HAJO SCHIFF
Es war der Dalai Lama, der den Hamburger Fotografen Ralf Tooten zu einem vierjährigen Projekt anregte: „Das Herz aller Religionen ist eins“, hörte Tooten ihn sagen und beschloss, weltweit die kaum darstellbare Essenz des Religiösen fotografisch einzufangen. Angefangen mit Innsbrucker Nonnen begann er, in schwarz-weißen, quadratischen Porträts den Ausdruck des Spirituellen bei religiösen Repräsentanten und gläubigen Menschen darzustellen. Augen der Weisheit nennt Tooten sein auf Verständnis und Dialog angelegtes Projekt – und legt nahe, nicht den einzelnen Menschen zu sehen, sondern hinter dessen Augen den Ausdruck beseelter Ewigkeiten zu entdecken.
Doch bei knapp 100 Fotos von ganz unterschiedliche rituelle Kleidung tragenden oder gar nackten, meist jedoch lächelnden Menschen aus allen Religionskreisen kann man schon darüber ins Grübeln kommen, wie nahe sich gütige Weisheit und dümmliches Grinsen sind. Und wenn die in einem besonderen Verfahren abgezogenen Schwarz-Weiß-Dias eigenartige Überstrahlungen und Ausbleichungen zeigen, kann das die Ausstrahlung dieser gläubigen Menschen einerseits unterstützen. Oder andererseits daran erinnern, dass religiöse Energie auch zu ganz unfriedlichen Zwecken umgeleitet werden kann.
Nur selten blitzen in den Bildern Doppeldeutigkeiten auf, wie beim jüdischen Zen-Meister aus New York, der in einer KZ-Gedenkstätte fotografiert wurde. Die meisten Fragen bleiben den Besuchern überlassen, beispielsweise, was aus der hinduistischen Kindgöttin werden wird, wenn sie ihre Reinheit verloren hat und eine Frau geworden ist. Oder warum gerade Seine Heiligkeit Papst Johannes Paul II. mit ziemlich verkniffenen Augen abgebildet wird – umgeben von Herren, die ihre Augen der Weisheit hinter dunklen Sonnenbrillen verbergen.
Die Haupträume für Sonderausstellungen schmücken parallel dazu 39 farbige Großfotos von Tom Jacobi, eine Auswahl seiner Bilder von Reisen zu 37 mythischen Orten in aller Welt. Der 1956 geborene Fotograf, Artdirector des Stern, lässt verlauten, dass bei seinen Reisen „der Wechsel zwischen Entbehrung und Luxus wunderbar“ gewesen sei. Jacobi besuchte so unterschiedliche Orte wie den goldenen Tempel vom Amritsar, das Zentralheiligtum der Sikhs, die Wallfahrtskirche im bayrischen Altötting oder die Osterinseln mit ihren Moai, den bis zu 50 Tonnen schweren Vulkansteinfiguren. Er verallgemeinert sein Motto sehr: Das Göttliche findet er in Tempeln und Gräbern, den Pyramiden von Gizeh und der Waschküche der Shaker, in der Natur und im Menschen, selbst schon in einer Hand mit Blumen. Aber wenn Gott überall ist – und das wäre ja religiös zu begründen –, warum dann 144.000 Kilometer reisen?
Tootens Porträts zeigen die Gegenwart religiöser Praxis, bei Jacobis bunten Großfotos aber geht es mehr um die Wunder des Exotischen zwischen Hamburg und Haiti. Wenn der Ausstellungstext sagt, Jacobi „fand Antworten auf Fragen, die er nie gestellt hatte“, dann ist dieses Cocktailparty-Verständnis wahrlich nicht die Haltung eines Pilgers. Und das Prachtdinner am Vorabend der Eröffnung, gehobene Weihnachtsfeier der Medienprominenz, füllte denn auch die Gesellschaftsspalten der Presse.
Beide Ausstellungen sind auch Bücher – und als solche besser. Die Auswahl von Jacobis Großfotos mit ihren teils wenig erhellenden Kommentartexten hat gegenüber dem umfangreichen Buch etwas willkürlich Kalenderbildartiges. Und die über die Gänge verstreuten Gesichter Tootens finden ebenfalls erst gebunden zu dem Zusammenhang einer in allen Unterschieden überraschend spirituellen Welt.
Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Silvester und Neujahr geschlossen, Museum für Kunst und Gewerbe; bis 12. Januar 2003