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Archiv-Artikel

Methusalem

Ein Schwamm in südpolaren Gewässern ist mit einem Alter von 10.000 Jahren das älteste Lebewesen der Welt

Ob nun Horrorvision oder Wunschtraum – das biblische Alter von mehreren tausend Jahren bleibt dem Menschen wohl für immer versagt. Anders bei Lebewesen aus Flora und Fauna: So werden die knorrigen Grannenkiefern in den USA bis zu 5.000 Jahre alt. Doch in den Tiefen des südpolaren Meeres lauert ein Anwärter auf den Spitzenplatz: Mit über 10.000 Jahren übertrifft ein gigantischer Schwamm, Scolymastra joubini am Meeresboden in der Antarktis, das Alter dieser Bäume.

Damit erweist sich das zirka zwei Meter hohe Meerestier, deren Exemplare das Ross- und das Weddellmeer bewohnen, als der älteste Organismus auf der Erde. Davon gehen die Biologen Susanne Gatti und Thomas Brey vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven aus. „Ein Zufall, dass wir das entdeckt haben“, meint Susanne Gatti. „Eigentlich wollten wir nur herausfinden, wie schnell polare Schwämme wachsen und wie viel Energie sie verbrauchen.“

Bekannt war dieser Meeresgigant den Bremerhavener Biologen schon länger: So hatte Paul Dayton von der Universität in San Diego ihn bereits vor 20 Jahren entdeckt. Stutzig wurden die Forscher vom AWI, weil die nahen Verwandten dieses vasenförmigen Geschöpfes, die im milderen Klima entlang der Küste von Vancouver Island in Kanada gedeihen, deutlich kleiner ausfallen: Mit gerade mal einem halben Meter Höhe wirken sie wie Zwerge. Deshalb haben die Forscher aus Bremerhaven untersucht, wie schnell die Exemplare der antarktischen Riesen wachsen.

Um die sehr langsame Wachstumsrate zu bestimmen, nutzten die Biologen aus, dass sie sich innerhalb einer Tiergruppe proportional zur Stoffwechselrate verhält. Und diese kann durch den Sauerstoffverbrauch abgeschätzt werden. Um den Verbrauch des Sauerstoffs von Schwämmen zu bestimmen, entwickelten die Bremerhavener Meeresforscher ein kompliziertes Verfahren. Aus den Resultaten entstand ein Modell, anhand dessen sie sogar das Alter des gigantischen Meerestieres ermittelten konnten.

Das Ergebnis überraschte die Biologen: Mit den berechneten 10.000 Jahren ist Scolymastra joubini bislang das älteste Lebewesen auf der Erde. „Dieses hohe Alter klingt auf den ersten Blick sehr unglaubhaft und grotesk“, staunt Susanne Gatti vom AWI. Damit lebt das Meeresgeschöpf sogar länger als Methusalem. Laut Bibel wurden ihm „nur“ 969 Jahre zugesprochen.

Warum können Schwämme eigentlich so alt werden? Die Lebensspanne eines Tieres hängt von der Lebensdauer der Körperzellen ab. Theoretisch können sie sich beliebig oft in Tochterzellen teilen. Aber dies ist nicht endlos möglich; so stirbt die menschliche Zelle beispielsweise nach zirka 50 Teilungen. Das lange Leben der antarktischen Meerestiere könnte, so die Bremerhavener Forscher, zwei Gründe haben: Entweder können sich ihre Zellen öfter als nur 50-mal teilen oder jede einzelne lebt länger.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Verbrauch des Sauerstoffs bei der Zellatmung. Hierbei entstehen hochaktive Sauerstoff-Radikale und Peroxide, die die Membranen zerstören. Die Biologen vom AWI vermuten, dass unter polaren Lebensbedingungen weniger reaktive Sauerstoffteilchen entstehen und sich dadurch der Alterungsprozess der Schwämme verlangsamt.

JOACHIM EIDING