Hektische Krisendiplomatie

EUROPA Am gestrigen Montag trat Kanzlerin Merkel erstmals vor die Presse. Während Vize Gabriel klare Worte findet, sendet Merkel widersprüchliche Signale. Denn Griechenlands Scheitern wäre auch ihr Scheitern

■ Die Rede: Selten hat man EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker so bewegt gesehen. Er fühle sich von Alexis Tsipras „verraten“, weil dieser ohne Rücksprache ein Referendum ankündigte. Damit werde die gesamte europäische Einigung aufs Spiel gesetzt. „Eine Demokratie gegen 18 andere auszuspielen, ist keine Einstellung, die der großen griechischen Nation würdig ist“, so Juncker.

■ Die Klarstellung: Der letzte Vorschlag der Gläubiger an Griechenland sei keine „dumme Austerität“, sondern ein „Wachstumsprogramm“. Es habe weder Renten- noch Lohnkürzungen enthalten. Durch weniger harte Sparvorgaben hätte Griechenland 12 Milliarden Euro gewonnen. Dies liegt aber vor allem daran, dass die griechische Wirtschaft erneut in die Rezession gefallen ist. Neue Vorschläge machte Juncker nicht.

■ Die Drohung: Juncker appellierte an das griechische Volk, beim Referendum am Sonntag mit Ja zu stimmen. „Ein Nein würde ein Nein zu Europa heißen“, sagte er. Es klang wie eine versteckte Drohung mit dem Ausschluss aus dem Euro – und der EU. (ebo)

AUS BERLIN ANJA MAIER
UND ULRICH SCHULTE

Die Kanzlerin neigt in ihren Reden oft zu einer gewissen Vagheit. Als sie am Montag im Kanzleramt vor die Presse tritt, eine Dreiviertelstunde später als geplant, neben sich der Vizekanzler, wählt sie klare Worte. Die Währungsunion stehe angesichts der Entscheidung der griechischen Regierung vor einer „entscheidenden Herausforderung.“ Die EU-Institutionen seien mit ihrem großzügigen Angebot auf die Griechen zugegangen. „Europa kann nur funktionieren, wenn es kompromissfähig ist.“

Damit ist klar, wer aus Merkels Sicht die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen trägt: die linke Syriza-Regierung unter Premier Alexis Tsipras. Jener hatte die Verhandlungen mit der Euro-Gruppe am Wochenende abgebrochen, eine Volksabstimmung angekündigt und den griechischen BürgerInnen per Fernsehansprache ein Nein zu dem Kompromiss empfohlen.

Dieser überraschende Zug führte am Montag in Berlin zu hektischer Krisendiplomatie. Merkel lud am Mittag zu einem parteiübergreifenden Gipfeltreffen ins Kanzleramt. Sie besprach mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD), Finanzminister Wolfgang Schäuble und den Fraktions- und Parteivorsitzenden aller Parteien die Lage. Merkel tut, was sie tun muss in einer Situation, in der erstmals in der EU-Geschichte ein Staat ausscheiden könnte. Sie sammelt Truppen, schwört ein, ihre Anhänger wie ihre Kritiker – und verteilt Verantwortung für das, was nun kommen könnte.

Am Dienstag um Mitternacht läuft die Frist für das zweite Hilfsprogramm aus. Die ausstehende Tranche in Milliardenhöhe braucht Griechenland dringend, um Forderungen von Gläubigern wie dem IWF zu bedienen. Es sei denn, das überschuldete Land kratzt noch Geld zusammen, um sich über die nächste Woche zu retten. Am Sonntag sollen dann alle wahlberechtigten Griechen über den Kurs Athens in der Europapolitik abstimmen. Das Kompromisspaket annehmen? Den Euro behalten? Oder lieber raus aus der Währungszone? Wie genau die Frage lauten wird, die Tsipras seinem Volk vorlegen will, ist offen.

In Berlin wird die Abstimmung als endgültige Positionierung zum Euro verstanden. Das macht SPD-Chef Gabriel klar, der nach Merkel redet, die Stimme ruhig, die Worte schneidend. Griechenlands Regierung verfolge eine Ideologie, die die Stabilität der Eurozone insgesamt in Frage stelle. Wenn die EU-Institutionen und die EU-Finanzminister diesem Druck gefolgt wären, wäre der Wirtschaftsraum in Gefahr geraten. Gabriels Fazit zum anstehenden Referendum lautet: „Im Kern geht es um die Frage: Ja oder Nein zum Verbleib in der Eurozone.“

Während Gabriel minutenlang redet, schaut Merkel unbewegt, ihre Finger spielen mit einem Stift. Vielleicht geht Gabriel ihr rhetorisch zu weit, jedenfalls sendet sie bei der ersten passenden Reporterfrage beruhigende Signale. Sie sei gespalten bei dieser Frage, sagt sie. Eine Volksabstimmung sei natürlich legitim. Einerseits habe ihr Ausgang natürlich etwas mit der Zukunft Griechenlands im Euro zu tun. Andererseits ahne sie, dass die Bevölkerung sich selbst ein Urteil bilden wolle – ohne Druck. „Keiner will von außen das Abstimmungsverhalten mündiger Bürger eines stolzen Volkes beeinflussen.“

Das stimmt natürlich so nicht. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der wie Merkel zu den Konservativen gehört, wirbt offen für ein Ja der Griechen zu Europa. Ebenso Martin Schulz, Sozialdemokrat und EU-Parlamentspräsident. Und Gabriel macht klar, was die Griechen bekommen hätten, wenn ihre Regierung den Kompromiss zum zweiten Hilfsprogramm angenommen hätten: In dem Fall hätte man über Milliardeninvestitionen und ein drittes Hilfsprogramm reden können. In Wirklichkeit läuft er also längst, der Wahlkampf vor der entscheidenden Abstimmung. Die Linksregierung Griechenlands gegen die wichtigsten Stimmen der EU.

Merkel weiß, dass es bei alldem auch um den Erfolg ihrer Politik geht. Um das also, was irgendwann in den Geschichtsbüchern stehen wird. Denn die europäische Krise und der Umgang mit ihr war stets das bestimmende Thema ihrer Kanzlerschaft. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, diesen von ihr oft gesagten Satz wiederholt sie auch im Kanzleramt wieder.

Schiede Griechenland sang- und klanglos aus, wäre das auch Merkels Scheitern. Auch wenn sich die Bundesregierung große Mühe gibt, den Griechen die Schuld zuzuschieben. Auch deshalb mühte sich Merkel stets, Optimismus auszustrahlen. Letzte Woche betonte sie noch: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

Dieser Weg könnte nun so aussehen: Falls eine Mehrheit der Griechen am Sonntag dafür stimmt, dass ihr Land in der Eurozone bleiben soll, hätte Tsipras ein Problem. Schließlich hat dieser offiziell das Nein empfohlen. Würde er zurücktreten, könnte eine Nachfolgeregierung mit der EU neu verhandeln. Ganz unwahrscheinlich ist dieses Szenario nicht. In Umfragen spricht sich eine Mehrheit der Griechen für den Verbleib im Euro aus.