: Gegen Gauck und Flüchtlinge
BAYERN CSU-Chef Horst Seehofer kritisiert freundlichen Appell des Bundespräsidenten und geißelt „Asylmissbrauch“. Kipping nennt das „gefährlich“, Göring-Eckardt „billig“
■ EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die Mitgliedstaaten zu Zusagen für die Aufnahme von Flüchtlingen gedrängt. „Solidarität ohne Opfer ist reine Heuchelei“, sagte er am Donnerstag in Brüssel vor dem EU-Gipfel mit Blick auf den Widerstand in vielen Hauptstädten, Flüchtlinge aus Italien und Griechenland anhand fester Quoten aufzunehmen.
■ Italien und Griechenland sind mit der Ankunft von mehr als 100.000 Bootsflüchtlingen seit Beginn des Jahres überlastet. Die EU-Kommission hat die Verteilung von 40.000 der Migranten mit Aussicht auf Flüchtlingsstatus unter allen 28 Mitgliedstaaten über verpflichtende Quoten vorgeschlagen, wogegen sich aber viele Länder wehren. Im Entwurf der Gipfelerklärung kommen jedoch keine verpflichtenden Quoten vor.
■ Tusk sagte, bis spätestens Ende Juli müssten die Regierungen nun aber „glaubwürdige und präzise“ Zusagen machen, wie viele Flüchtlinge sie freiwillig aufnehmen wollen. Der britische Premier David Cameron gehört zu den Quotengegnern. Er forderte in Brüssel einen „umfassenden und koordinierten Ansatz“ in der Flüchtlingskrise und sagte zu, Großbritannien werde „seine Rolle spielen“. London könne insbesondere Expertise einbringen, um „kriminelle Schleuserbanden“ zu bekämpfen.
■ Am Mittwoch hatte das Parlament der Slowakei mit großer Mehrheit verpflichtende Flüchtlingsquoten abgelehnt. Dieser Beschluss steht im Widerspruch zum bisherigen Stimmverhalten der slowakischen Abgeordneten zum EU-Parlament. Diese hatten dort fast alle für die Quoten gestimmt. (afp, dpa)
Meinung + Diskussion Seite 11
VON ANJA MAIER
BERLIN taz | Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer ist bekannt für seine markigen Sprüche. In einem Interview mit dem Münchner Merkur hat der CSU-Politiker diesmal überraschend kräftig gegen das Staatsoberhaupt ausgeteilt. Und weil er gerade dabei war, auch gleich und vor allem gegen Flüchtlinge.
Am zurückliegenden Wochenende hatte Bundespräsident Joachim Gauck eine Rede zum „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ gehalten. Darin hatte er das Schicksal der nach 1945 umgesiedelten Deutschen in einen historischen Zusammenhang mit den aktuell hier eintreffenden Flüchtlingen gestellt. „Ich wünschte, die Erinnerung an die geflüchteten und vertriebenen Menschen von damals könnte unser Verständnis für geflüchtete und vertriebene Menschen von heute vertiefen“, hatte Gauck erklärt.
Gegen diese Denkfigur verwahrt sich Horst Seehofer. „Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Heimatvertriebenen, dass sie solche Vergleiche nicht gern hören“, sagt der CSU-Vorsitzende im Interview. Heute gehe es „um massenhaften Asylmissbrauch“.
Wie man dem künftig begegnen solle, weiß der bayerische Ministerpräsident auch. „Wegen der extrem hohen Zahlen beim Asylmissbrauch aus Balkanstaaten“ sinke die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. „Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber muss noch stärker stattfinden als bisher.“ Die Länder bräuchten mehr Geld. Außerdem müsse der Gesetzgeber mehr Balkanländer zu sicheren Drittstaaten erklären, „in die wir dann schneller abschieben können“. Für Flüchtlinge, die es nach Bayern verschlagen hat, erwägt Seehofer den Entzug von Bargeld und die Wiedereinführung von Essenspaketen.
Der Widerspruch kam umgehend. Linkspartei-Chefin Katja Kipping nannte gegenüber der taz die Äußerungen des CSU-Vorsitzenden „hinterwäldlerisch und gefährlich“. „Wer angesichts von Tausenden toten Flüchtlingen im Mittelmeer konsequent gegen ‚massenhaften Asylmissbrauch‘ vorgehen und schneller abschieben will, der gießt Öl ins Feuer“, sagte Kipping. Horst Seehofer rede denen das Wort, die Flüchtlinge angreifen.
Kipping sieht einen direkten Zusammenhang zu den aktuellen Ereignissen in Freital. In der sächsischen Gemeinde demonstrieren seit Tagen Fremdenfeinde gegen eine Asylunterkunft (siehe Text unten). Flüchtlinge und deren Unterstützer bräuchten Solidarität, sagte Kipping, „sie sind die besorgten Bürger und nicht der braune Mob mit blau-weißer Unterstützung“.
Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, kritisierte Seehofer scharf. Dieser betreibe „billigen Populismus auf dem Rücken von Flüchtlingen. Die Kritik am Bundespräsidenten ist deplatziert“. Seehofer kopiere die Argumente von Pegida und Co.
Bei der Schwesterpartei der CSU mochte man Seehofers Äußerungen nicht kommentieren. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion sprang Horst Seehofer bei. „Asylverfahren für nicht schutzbedürftige Zuwanderer zügig abzuschließen und diese möglichst rasch zurückzuführen, ist zwingende Voraussetzung dafür, den wirklich Hilfsbedürftigen angemessen helfen zu können“, sagt der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer der taz. Er könne nicht erkennen, dass Horst Seehofer fremdenfeindliche Ressentiments bedient. „Es geht darum, die Zustimmung der Bevölkerung zur Asylpraxis auf dem derzeit hohen Niveau halten zu können.“ Die Einstufung weiterer Länder als „sichere Herkunftsstaaten“ nennt Mayer eine „hilfreiche Maßnahme“.
Seine Fraktionskollegin Cemile Giousouf findet Seehofers Wortwahl „zu scharf“. Sie könne den Eindruck erwecken, „dass Menschen unrechtmäßig Zuflucht in Deutschland finden“, sagt die Integrationsbeauftragte der Union auf taz-Anfrage. Die Situation von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen sei „insofern vergleichbar, dass viele Deutsche nach 1945 auf Solidarität angewiesen waren“. So erkläre sie sich die große Hilfsbereitschaft.