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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Das trieft vor Doppelmoral

■ betr.: „Atommüll nach Bayern: Nein danke“, taz vom 20. 6. 15

Die Stellungnahmen von Marcel Huber (CSU), Chef der Staatskanzlei, des Landshuter OB Rampf (CSU) und des Landshuter Landrats Peter Dreier (Freie Wähler) zu den Plänen, Atommüll aus bayerischen Atomkraftwerken, der bisher in der englischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield lagert, im Zwischenlager beim Atomkraftwerk Ohu zu lagern, triefen vor Doppelmoral. Eine Partei, die mit den Laufzeitverlängerungen und einer fanatischen Pro-Atompolitik das Atommüllproblem mit verursacht hat, regt sich auf, wenn die in Bayern produzierte, für Millionen Jahre strahlende Erblast dorthin zurückkehrt, wo sie herkommt. Ein Aufschrei kommt vom Landshuter Landrat, weil bis zu neun Castoren nach Niederaichbach kommen sollen. Wo war sein Aufschrei in der Vergangenheit, als der Atommüll in seinem Landkreis produziert wurde? Und wo bleibt sein Aufschrei heute, wo im Atomkraftwerk Ohu 2 Jahr für Jahr immer noch Atommüll für bis zu 3 Castoren produziert wird?

Wer wirklich die Gefahren für die Bevölkerung verringern will, wer wirklich will, dass weniger Castoren ins Zwischenlager nach Niederaichbach gelangen, der stoppt die weitere Atommüllproduktion sofort durch Abschaltung von Ohu 2, sorgt für eine sichere Zwischenlagerung des bereits angefallenen Mülls und die wissenschaftliche Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Deutschland. Wer wirklich um die Sicherheit der Bevölkerung besorgt ist, verzichtet sofort auf die weitere Nutzung der Hochrisikotechnologie Atomkraft und setzt auf Energiesparen, effiziente Energienutzung und erneuerbare Energien. INGRID KORFMACHER, Landshut

Rechtsfreier Polizeiraum

■ betr.: „Polizei filmt sich selbst bei Gewalttat“, taz vom 17. 6. 15

Keine Frage, Polizisten werden oft hart, ja lebensgefährlich attackiert. Sie müssen sich aufs Übelste beschimpfen lassen und sind für viele der Fußabstreifer für Frust, verfehlte Politik und Gesetze, deren Einhalten sie überwachen sollen. Das hinterlässt auch Spuren bei den Beamten. Trotzdem stehen sie nicht über dem Gesetz. Sie dürfen zwar Gewalt anwenden, dies ist aber genau geregelt. Körperverletzung ist aber ein Offizialdelikt, bei dem jeder Staatsanwalt und Polizist verpflichtet ist, der Sache nachzugehen.

Wenn nun der Beamte vom Nachbarschreibtisch gegen seinen Kollegen wegen Körperverletzung im Amt ermitteln muss, ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Betroffene haben kaum eine Chance, Recht zu bekommen, und eine Verurteilung wegen Körperverletzung schließt viele berufliche und gesellschaftliche Türen. Das einzige erfolgreiche Beweismittel ist ein Video. Nun gehen aber Polizisten, wenn es rau zugeht, immer mehr dazu über, Handys zu beschlagnahmen, mit denen sie gefilmt wurden. So ist schon länger ein fast rechtsfreier Raum entstanden, der zum Strukturproblem geworden ist, und in dem die Dunkelziffer sehr hoch sein dürfte. Auch Amnesty International hat das schon beanstandet.

Das Problem ist alt in Deutschland, aber geändert hat sich bisher nicht viel. Die Lobby scheint recht stark zu sein. Die Gewerkschaft der Polizei stellt sich auch vor ihre schwarzen Schafe und macht damit auch das Image der Beamten kaputt, die sich wirklich Mühe geben. CHRISTOPH KROLZIG, Öhningen

Die relevante Macht: Kapital

■ betr.: „Goldene Zeiten“, taz vom 20. 6. 15

Knapp 10 Millionen hat der Vorstandsvorsitzende der Post, Herr Appel, laut Geschäftsbericht also im Jahr 2014 „verdient“. Hoffentlich kommt er durch, der arme Kerl. Denn das ist doch nur brutto, vor Steuern und fixen Kosten, und er hat doch sicher eine Familie, um die er sich gewissenhaft sorgen muss. Für viele dieser Leute scheint es nur eine relevante Macht auf Gottes Erde zu geben: Kapital. Nicht, weil sie es unbedingt brauchen, sondern, damit es die anderen nicht haben; inklusive all derer freilich, die es tatsächlich zum (Über-)Leben benötigen. So lob ich meinen Kollateralschaden und warte für einen erfolgreichen Streik gerne lange auf die Post. MATTHIAS BARTSCH, Lichtenau-Herbram

Verlässliche SPD

■ betr.: „Das SPD-Rebelliönchen“, taz vom 22. 6. 15

Auf die heutige Sozialdemokratie ist Verlass. Wer keinen fortschrittlichen Wandel und keine Abkehr von unerschütterlicher Staatsgläubigkeit von ihr erwartet, wird auch nicht enttäuscht. Kommandiert von Spitzenfunktionären, die bis zu ihrem Aufstieg links blinken, um schließlich nach rechts abzubiegen, pflegt sie für den Preis anhaltenden politischen Bedeutungsverlusts einen systemerhaltenden Opportunismus, der fleißig zitierte traditionelle Werte dieser einmal zu Recht stolzen Partei zu plakativen Worthülsen verkommen ließ.

Im Europarlament bewahrt dessen unermüdlich über Demokratie und Freiheit schwadronierender Präsident Schulz seinen politischen Bettkumpan Juncker vor einem Untersuchungsausschuss zum von diesem kreierten Steuerparadies Luxemburg. Und Genosse Schulz war sich auch nicht zu schade, eine Abstimmung über TTIP zu verhindern und eine Debatte darüber abzuwürgen, um drohende Unbill abzuwenden. Jetzt zeigte SPD-Vorsitzender und Vizekanzler Gabriel, was er von seinem politischen Ziehvater Schröder gelernt und wie gut er dessen Basta-Politik kopiert hat. Bevor er als Triumphator in die Bütt stieg und die Vorratsdatenspeicherung zum Segen unserer Gesellschaft erklärte, durfte der zur Truppe von Paladinen mutierte SPD-Parteikonvent ein bisschen Mummenschanz üben und Diskussionsfreude zelebrieren. PETER MICHEL, Ravensburg