: Das SPD-Rebelliönchen
KONVENT SPD stimmt für Vorratsdatenspeicherung: Wie Sigmar Gabriel die Basta-Politik entdeckt, der er abschwören wollte
JUSTIZMINISTER HEIKO MAAS
AUS BERLIN ULRICH SCHULTE
Als Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag im November 2013 redet, gibt er ein Versprechen. Das Wahlergebnis war schlecht, die Partei ist verzweifelt, und Gabriel will die Große Koalition. Politik von oben nach unten, ruft er in den Saal, das dürfe es nicht wieder geben. Die Basta-Politik der Regierungsjahre unter Gerhard Schröder sei die vielleicht „schwerste Last, die wir aus der jüngeren Vergangenheit mit uns herumschleppen“.
Gut eineinhalb Jahre später ist Gabriel selbst in der Basta-Politik angekommen. Der SPD-Chef steht am Samstagnachmittag im Willy-Brandt-Haus in Berlin neben Bundesjustizminister Heiko Maas. Der eine wirkt zufrieden, der andere recht unglücklich. Gabriel ist am Ziel, endlich. Er hat seiner Partei die ungeliebte Vorratsdatenspeicherung verordnet, und die SPD ist ihm gefolgt, wenn auch widerwillig.
Künftig werden Ermittler Zugriff auf gespeicherte Telefon- und E-Mail-Daten bekommen, wenn sie eine schwere Straftat vermuten. Schon im Herbst könnte das Gesetz verabschiedet werden. Gabriel drückt das so aus: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Freiheit und Sicherheit als Gegensätze beschrieben werden.“ In der Union wird die Entscheidung am Wochenende einhellig begrüßt. Die Opposition dagegen zürnt, die SPD habe sich entschieden, „die Freiheit im Digitalen Zeitalter abzuschaffen“.
Gabriel lässt keinen Zweifel, wer oben und wer unten ist. Er verdonnerte seinen so skeptischen wie loyalen Justizminister dazu, einen Kompromiss mit der Union auszuhandeln. Nicht wenige in der SPD sagen: Er hat Maas mit öffentlichen Äußerungen düpiert. Außerdem ignorierte der SPD-Chef die Bedenken der Parteibasis. Das ist ziemlich viel Basta für einen, der alles ganz anders machen wollte.
Nur in einem winzigen Detail gehen Gabriel und der SPD-Vorstand auf die Kritiker zu. Auf Antrag von SPD-Bundesvize Ralf Stegner soll nach zwei Jahren evaluiert werden, ob und wie die Vorratsdatenspeicherung wirkt. Dann kommt es im Atrium der SPD-Zentrale zu einer Szene, die viel über den Vorsitzenden sagt.
Gabriel düpiert Maas
Ein Journalist fragt Heiko Maas, ob diese Änderung mit der Union besprochen sei. Gabriel drängelt sich ans Mikrophon, das er eigentlich schon Maas überlassen hatte. Maas geht perplex einen Schritt zur Seite.
„Guten Tag, Herr Maas“, sagt der Reporter ironisch. Gabriel entgegnet: „Sie wollen doch eine Antwort haben.“ Dann sagt er, er habe den Punkt bereits mit Innenminister Thomas de Maizière besprochen. Maas, der das Gesetz in den vergangenen Monaten federführend mit dem CDU-Mann aushandelte, hätte das sicher auch gewusst.
Understatement im Moment des Triumphes, Gabriel fällt das einfach schwer. Immerhin dankt er Maas ausdrücklich für sein Engagement. Er weiß, dass es ohne das Werben des Justizministers eng geworden wäre für die Vorratsdatenspeicherung. 124 der Delegierten stimmten für das Gesetz, also knapp 57 Prozent. 88 Delegierte stimmten dagegen, 7 enthielten sich.
Das ist knapp, sehr knapp, auch wenn Gabriel das Ergebnis in eine „deutlichen Mehrheit“ umdeutet. Anders als auf einem Parteitag kommen bei einem Konvent vor allem Funktionäre zusammen, etwa Bundestags- und Landtagsabgeordnete. Politikprofis also, die wissen, dass eine Ablehnung den SPD-Chef blamiert und einen Koalitionsstreit bedeutet hätte. Angesichts dessen sind 57 Prozent nicht viel. Gabriel ist kein unumstrittener Sieger, sondern einer, der es gerade so geschafft hat.
SPD-Netzpolitiker, Linke und Jusos hatten geschickt gegen den Gesetzentwurf mobilisiert, über 100 Änderungsanträge von Bezirks- und Landesverbänden lagen vor. Gabriel hatte nie einen Hehl daraus gemacht, an den Sinn der Datenspeicherung zu glauben. Ein Parteitagsbeschluss von 2011 stützt seine Linie. Allerdings hatte sich seitdem die Stimmung in vielen Landesverbänden durch die Enthüllungen Edward Snowdens gedreht.
Die SPD-Spitze unternahm in den vergangenen Tagen einiges, um die Basisrevolte zu ersticken. Sie argumentierte, drohte und schmeichelte. Der Initiativantrag wich keinen Millimeter von dem Maas-Entwurf ab, lockte aber mit dem windelweichen Versprechen, Konzerne wie Facebook durch eine EU-Initiative strenger zu kontrollieren. Die Generalsekretärin machte die Zustimmung gar zu einer Frage der Regierungsfähigkeit.
Auch intern wurde Druck gemacht. Prominente SPDler ordneten Kritiker in Einzelgesprächen ein. Chefs von Landesverbänden, die als unsicher galten, wurden vor dem Votum gefragt: „Kannst du für deine Delegierten garantieren?“ Zuletzt nahm der Vorstand die erwähnte Evaluation auf, die – das geben selbst Speicherkritiker hinter vorgehaltener Hand zu – das Projekt nicht wieder abschaffen wird.
Und dann wäre da noch Heiko Maas, die tragische Figur in dem SPD-Drama. Gerade seine Glaubwürdigkeit bei dem Thema brachte viele Skeptiker dazu zuzustimmen. Bundesvize Stegner, ein Wortführer der SPD-Linken, warb laut Teilnehmern dafür, man könne den Heiko nicht hängen lassen.
Tapfer bedankte sich Maas nach dem Konvent bei den Delegierten. „Die eng begrenzte Speicherung von Verkehrsdaten ist kein Allheilmittel“, sagte er, „sie ist aber auch nicht der Untergang des digitalen Abendlandes“. Maas lobte das Gesetz als „in Europa konkurrenzlos restriktiv“, das anderen Ländern als Vorbild dienen könne.
So ist das, wenn Rebelliönchen in der SPD scheitern. Am Ende haben trotzdem alle gewonnen.