: Heilige Abspielgeräte
STRASSENMUSIK Ghettoblaster waren das Symbol für die Musik der 1980er Jahre – zur Fête de la Musique präsentiert die Noisy Musicworld neben einem Musikprogramm auch eine Boombox-Ausstellung
In Frankreich 1982 zum ersten Mal initiiert, wird mit der Fête de la Musique alljährlich am 21. Juni der kalendarische Sommeranfang begangen. In mittlerweile über 540 Städten weltweit spielen MusikerInnen an diesem Tag honorarfrei an öffentlichen Orten. Im Berliner Stadtgebiet ist dies von 16 bis 22 Uhr erlaubt. In den Räumen der noisy Musicworld in Friedrichshain zeigt MyRadio.Berlin an diesem Tag eine Boombox-Ausstellung. Vor der Tür gibt es ab 16 Uhr neben einem Kinderprogramm und einem Musikflohmarkt auch Live-Musik. Das Line-up: 16 Uhr LuAmi (synthpop/ UK), 17 Uhr Queen Sacrifice (indie, folk, rock), 18 Uhr Anne Haight (indie, pop), 19 Uhr Blechreiz (ska), 20 Uhr The DuBarrys (ambient, pop), 21 Uhr The Moustache (indie, elektro).
■ MyRadio.Berlin – Boombox-Ausstellung & Konzerte: noisy Musicworld, Warschauer Str. 70a, 21. Juni, 16–22 Uhr, Programm der Fête de la Musique: www.fetedelamusique.de
VON ANDREAS HARTMANN
Eine ganze Wand aus Chrom und Plastik: Man ist sofort beeindruckt, wenn man Max Posers Wohnung in Charlottenburg betritt. Groß ist sie nicht: ein Zimmer. Aber dort, wo bei ande- ren vielleicht im Ikea-Regal ein paar Bücher und CDs Staub anlagern, reiht sich hier bis unter die Decke eine Boombox neben die andere. Um die 50 ausgesuchte Exemplare. Er habe damit eine der feinsten Boombox-Sammlungen in Deutschland, meint Poser. Boomboxes, auch Ghettoblaster genannt, sind diese klobigen Soundmaschinen, die man in den Achtzigern mit in den Park oder an den Strand genommen hat, um mit dem neuesten Mixtape die Freunde zu erfreuen und die Nachbarn zu quälen. Bis zu 13 Kilo schwe- re Monstren waren das, mit teilweise mächtig pumpenden Bässen.
Seit ungefähr sieben Jahren sammelt Poser nun Boomboxes. Das bedeutet Austausch in Sammlerforen, permanentes Durchstöbern aller möglichen Kleinanzeigen nach interessant klingenden Geräten, und einmal im Jahr fährt er Anfang Juni zum Boombox-Treffen nach Dessau, einer Art Star-Trek-Convention für Boombox-Fans. Poser sammelt nicht nur still und heimlich vor sich hin, deswegen wandern seine Geräte jetzt auch im Rahmen der Fête De La Musique in die Noisy Musicworld in Friedrichshain für eine kleine Ausstellung.
Vor allem in der HipHop-Kultur wird die Boombox heute wieder verehrt. Entwickelt wurden die Geräte in Japan, aber in der Bronx und in Manhattan wurde zur Musik aus diesen Kisten in der Blüte des Oldschool-HipHop gebreakt oder einfach nur abgehangen. Die Boomboxes machten die Straße zur Bühne und definierten den öffentlichen Raum neu, was letztlich auch die Grundidee der Fête de la Musique ist. Wer sich heute wieder mit einer Boombox zeigt, erinnert an diese Ära und das kommt gut an in der Szene. Poser kramt das Booklet der aktuellen CD der Fantastischen Vier hervor. Darin sieht man die angegrauten Rapper mit einer alten Boombox herumspacken. Einem Gerät aus Posers Sammlung, der seine Kisten immer öfter an Filmsets und Fotoshootings verleiht.
Würde man sich einen Boombox-Sammler als Klischee zeichnen, käme man vielleicht auf das Bild eines ehemaligen Breakdancers, Graffiti-Künstlers und Hobby-Rappers, der im Gespräch mit seinem Gegenüber andauernd die Worte „Digger“ und „Alter“ einstreut. Genau so jemand ist Poser nicht. Er ist eher ein Typ, der heute, hätte er sich einst für das Sammelgebiet alte Bügeleisen entschieden, auch hier bestimmt führend wäre. Zum Boombox-Sammeln ist er überhaupt nur gekommen, weil er seine „Drei Fragezeichen“-Kassetten mal wieder anhören wollte und dafür ein ordentliches Abspielgerät suchte. Über seinem Bett befindet sich, wie in einem Schrein, eine riesige Kollektion dieser Hörspielkassetten. Und dann hängen da noch drei Urkunden mit Eintragungen im Guinnessbuch der Weltrekorde. Poser war einmal, zur Schulzeit, Weltrekordhalter in einer bestimmten Disziplin des Domino-Steine-Umwerfens. Es wird schnell klar: Wenn Poser etwas macht, dann richtig.
Wenn er einen durch seine Sammlung führt, merkt man aber auch schnell: Boomboxes sind wirklich ein ideales Sammelgebiet. Es gibt limitierte Auflagen, Heilige Grale, denen man vielleicht bis an sein Lebensende hinterherjagen muss, und Kisten, die nicht bloß einen nostalgischen Wert haben, sondern einfach auch heute noch mit wunderbarem Design und super Klang bestechen. So wie die RC-M90 von JVC, die Poser gleich in zwei Varianten besitzt, einmal in der japanischen und einmal in der europäischen. „Das Ding ist ein Klassiker“, sagt er. Zu bewundern ist es auch auf dem Plattencover von LL Cool Js HipHop-Meilenstein „Radio“, das sich Poser natürlich auch in eine Ecke seines Zimmers gehängt hat. Verarbeitung, Sound, alles sei bei diesem Gerät top, erklärt der stolze Besitzer.
Und das könne man nicht von allen Boomboxes behaupten. Als die Koreaner und die Chinesen in den Markt mit einstiegen, ging es qualitativ bergab. Plötzlich war da mehr Plastik als Metal und „viel Geblinke und schlechte Technik“, wie Poser sagt. Um zu demonstrieren, wie weit das mit dem Geblinke ging, schaltet er eine Boombox mit dem Namen „Disco Lite“ an, die recht prominent in dem Video zu „Hung up“ von Madonna zu sehen ist. Unzählige LEDs laufen sofort Amok.
Im HipHop geht es gerne darum, wer das größte Auto, die dicksten Eier, das meiste Geld und die tollsten Frauen hat. Die Boombox passt bestens zu dieser Kultur: „Bigger is better“, lautete das Ideal, so Poser, und natürlich: „Je lauter, desto besser.“ Auch mit immer mehr Schickschnack wollte man punkten, sogar Minifernseher wurden in manche dieser Geräte eingebaut.
Ende der Achtziger, in der Zeit des Walkman und des Booms stationärer Stereoanlagen, ging es mit den Boomboxes abwärts. Max Poser sagt, er möchte gar nicht wissen, wie viele der heute wieder gesuchten Geräte damals im Müll landeten. An die Stelle der Boomboxes sind heute Handys mit ein paar jämmerlichen Lautsprechern getreten. Blickt man auf Posers imposante Boombox-Wand, fragt man sich: Wie konnte es nur dazu kommen?