: Technische Polygamie
FUNKFREQUENZEN Das Antennenfernsehen weicht dem mobilen Internet. Unter dieser Umstellung werden viele Nutzer leiden, aber mit dem künftigen Standard DVB-T2 wird auch manches besser, zum Beispiel die Auflösung
VON DANIEL BOUHS
Der Datenhunger ist heute schier grenzenlos. Ein erster Mobilfunkkonzern bietet seinen Kunden in Deutschland neuerdings die Möglichkeit, mit einem einzigen Vertrag statt der bisher oft üblichen drei nun gleich fünf Geräte permanent mit dem Internet zu koppeln. Fünf Mobilfunkkarten auf einen Nutzer – da geht es nicht mehr nur darum, in der Kneipe mal eben das Handy zu zücken, um eine Stammtischparole zu überprüfen. Es geht um technische Polygamie, um SIM-Karten, die in immer mehr Alltagsgegenständen stecken.
Diese Datenvöllerei braucht freilich Bandbreite, und die geht allmählich zur Neige. Schon entschieden ist: Die „Telkos“, wie die mächtigen Telekommunikationskonzerne mitunter verniedlichend genannt werden, dürfen demnächst die vierte Generation ihrer Netze auf zusätzliche Frequenzen ausdehnen, die wahlweise als 4G oder LTE firmiert. Die nötige Auktion der Frequenzen, an denen Bund und Länder verdienen, läuft seit Ende Mai.
Die begehrten Frequenzen sind derzeit allerdings anderweitig belegt. Wenn die Telkos sie von – voraussichtlich – 2018 an belegen, müssen andere das Spektrum geräumt haben. Die Hände reiben kann sich dabei die Geräteindustrie. Unternehmen, die etwa Funkmikrofone herstellen, werden in den nächsten Jahren ein gutes Geschäft machen, denn die Technik, die Theater, Film- und Fernsehproduzenten und Vereine einsetzen, muss vielfach erneuert werden, damit Mikrofone und Empfänger fortan auf den neuen Frequenzen funken.
Vor allem aber werden Fernsehzuschauer umrüsten müssen. Der Antennenstandard DVB-T muss ebenfalls umziehen. Aus ihm wird DVB-T2. Das wird das Publikum, das nicht über Kabel, Satellit oder das Internet fernsieht, etwas kosten. Wer sich nicht ohnehin kurz vor der Umstellung einen entsprechenden Fernseher kauft, muss sich eine neue Empfangsbox zulegen. Kostenpunkt: um die 30 Euro und aufwärts, etwa wenn die Box auch Programme aufzeichnen können soll.
Die Gegenleistung: Das Fernsehen wird nun auch über den Antennenempfang endlich hochauflösend. DVB-T2 kann HD-TV. Und weil die Programmsignale mit einer Technik, die HEVC heißt, deutlich besser komprimiert werden als bislang, finden dann auch mehr Sender ihren Weg zu den Geräten – trotz der zusätzlichen Bilddetails.
Die Fernsehbranche hat sich gerade auf der Breitbandmesse Anga Com in Köln auf die letzten Details von DVB-T2 geeinigt. Der Fahrplan sieht vor, dass der neue Standard im nächsten Jahr schon punktuell scharf geschaltet werden soll. Das kündigten auch die ARD-Intendanten auf ihrem Jahrestreffen im April an. Erste Zuschauer sollen damit die Fußballeuropameisterschaft sehen können. 2017 soll die neue Technik in den Regelbetrieb gehen, die alte 2018 abgeschaltet werden, damit die drängelnden Telkos auf den bisherigen TV-Frequenzen ihre Datenautobahnen ausrollen können.
So schön das neue Antennenfernsehen werden wird, so eingeschränkt wird es indes auch sein: Die Privatsender haben ihre Idee durchgedrückt, ihre Programme auch hier – wie schon bei Satellit und Co. – zu verschlüsseln. Wer sie in HD sehen will, soll mitunter dafür zahlen müssen.
Die RTL-Gruppe hatte gar mit dem Ausstieg aus der für Nutzer bislang kostenfreien DVB-T-Technik gedroht. Mit den künftigen Einnahmen wollen sie die Kosten für die Ausstrahlung kompensieren.
Für die Mobilfunker wird von 2018 an aber noch immer nicht alles gut sein. In den Grenzregionen etwa zu Polen rechnen sie mit Startschwierigkeiten, weil hinter der Grenze die Umstellung der Frequenzen länger dauert. Es dürfte zu Störungen kommen. Im Großteil der Republik aber werden die Telkos dann neue Ressourcen haben, um den Datenhunger der digitalen Gesellschaft zu stillen – wenn das überhaupt noch geht.