: Wann wird Indie zur Institution?
KUNST Am Wochenende wurde zum dritten Mal der Berlin Art Prize verliehen. Ist das schon zu viel des Guten?
Die Kunststadt Berlin lebt von Initiativen der freien Szene, Projekträumen und Kollektiven. In kürzester Zeit hat sich mit dem Berlin Art Prize ein von jungen Künstlern und Autorinnen ins Leben gerufener Kunstpreis etabliert, ganz ohne öffentliche Förderung.
Die dritte Ausgabe finanzierte sich aus Geldern privater Spender, vor allem aber aus den Bar-Erlösen bei der Party zur Eröffnung. Jedes Jahr ist ein anderer Ort Gastgeber, dieses Mal sind die 29 nominierten Beiträge bei District zu sehen, einem privat initiierten Ausstellungsort. Die Party am Freitagabend lief lang und ausgelassen, die Bar war hoch frequentiert.
700 Bewerbungen kamen an, aus denen die hochkarätig mit Künstlern besetzte Jury (Monica Bonvicini, Elise Lämmer, Natasha Ginwala, Kitty Kraus und Willem de Rooij) drei Gewinner kürte. Rike Horb. (der Punkt gehört tatsächlich zum Künstlernamen), Julian Weber und Miriam Yammad erhalten Preisgelder und treten einen Künstleraufenthalt in Griechenland an.
Horb. zeigt eine freistehende Ziegelwand, die von verklebtem Schaumstoff zusammengehalten wird und dadurch erstaunlich beweglich ist, was die Künstlerin in einer Performance demonstriert. Sie unternehme damit eine humorvolle Annäherung an die eigene Arbeit, heißt es in der Begründung der Jury.
Weber, der aus der Tanzszene kommt und an der Schnittstelle zur bildenden Kunst arbeitet, schafft konzeptuelle Performance-Stücke, in denen die Darsteller mit Requisiten choreografierte Bewegungen ausführen – in seinem Stück „The Tourist“ etwa mit Sonnenbrillen, Motorradhelm und Turnschuhen, die ansonsten auf Sockeln gruppiert im Ausstellungsraum stehen. Die Jury begeisterte der transmediale Ansatz.
Gender und Identitäten
Der interessanteste Gewinnerbeitrag kommt von Miriam Yammad. In ihrer Videoserie „Mimesis“ porträtiert die Künstlerin unter anderem eine junge, stark geschminkte Türkin mit Kopftuch in lasziver Haltung auf einem kitschigen Sofa in einer Möbelausstellung. Ein wenig erinnert dieses Bild an Édouard Manets Skandalgemälde „Olympia“. Yammad werfe mit präzisem Kamerablick Fragen nach Jugendkultur, Gender und Nationalidentitäten auf, begründete die Jury. Bei der Auswahl konnte sie sich ganz auf die Arbeiten konzentrieren: Sie wurden anonym und ohne Angaben zu Geschlecht, Herkunft oder Alter eingereicht. Einzige Vorgabe war, dass die Künstlerinnen und Künstler in Berlin leben und arbeiten.
In der Nominierten-Ausstellung ist ein Querschnitt durch aktuelle Praktiken zu sehen: Maria Anwander hat Schilder ihrer Lieblingswerke aus Ausstellungen entwendet und präsentiert sie als Tableau. Stef Heidhues arrangiert Fahrradketten zu Flaggen. Sascha Pohflepp sammelte im Internet frei verfügbare Modelle von Raketen, druckte sie mit einem 3-D-Drucker aus und montierte sie zur Skulptur. Max Schaffer legte aus dem Belüftungssystem der Wiener Sezession ausgeschnittene Metallplättchen zum Pfad aus. Emmy Skensved und Grégoire Blunt zeigen eine digitale Animation, unterlegt mit vorgelesenen Texten verschiedener Autoren über Körperoptimierung, in einem Raum, den mit Nikotin und Koffein angereicherter Dampf füllt.
Goldenes Victory-Zeichen
Der Preis solle auch ohne das Label eines großen Firmensponsors ein Sprungbrett bieten, sagt Zoë Claire Miller, Künstlerin, Kuratorin und Mitinitiatorin. Es gebe viel zu wenige öffentlich ausgeschriebene Kunststipendien in Berlin: Auf gerade mal 15 kämen Tausende Kunstschaffende.
Aus Kostengründen musste der Katalog klein gehalten werden – schade, denn zu den vielen konzeptuellen Arbeiten hätte man sich mehr Diskurs gewünscht. Der wird immerhin in einem Programm mit Vorträgen, Workshops und Performances angestoßen.
Im Katalog fragen die Köpfe hinter dem Preis: „Wann wurde alles so ernst?“ und „Wann wird ein unabhängiges Projekt zur Institution?“. Mit dem plakativen Titel, der an sich schon nach Institution klingt, kommt der unabhängige Berlin Art Prize selbst wie eine kritische künstlerische Intervention daher. Auch die Trophäe ist ein Kunstwerk, gestaltet von Yael Bartana: eine goldene Hand, die zwischen Mittel- und Zeigefinger ein V als Siegeszeichen formt, ein Symbol, das vom Selbstbewusstsein der jungen Szene zeugt. SABINE WEIER