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Archiv-Artikel

„Wir wollen keine Polit-Sekte sein“

STAATSFEINDE Die linksradikale Splittergruppe „Roter Aufbau Hamburg“ hat sich mit ihren antiimperialistischen Genossen verkracht. Ein Gespräch über Spaltungen, Selbstironie und den Weg in die befreite Gesellschaft

Denis Hein

■ 30, ist Sprecher des Roten Aufbaus. Er war früher in der antiimperialistischen Gruppe „SOL – Sozialistische Linke“ aktiv, der er nach ihrem Zerwürfnis mit der Roten Szene den Rücken kehrte. Der Name ist ein Pseudonym.

INTERVIEW LENA KAISER

taz: Herr Hein, Herr Henning, warum hat sich die eh schon überschaubare antiimperialistische Szene in Hamburg gespalten?

Denis Hein: Es gab halt Differenzen über die politische Taktik. Wir vom Roten Aufbau gehen davon aus, dass man sich in Deutschland auf die Leute zu bewegen muss – und nicht so eine Radikalität propagieren sollte, wie die anderen das vor einigen Jahren auf der 1.-Mai-Demo vorgeführt haben, als sie auf der Reeperbahn zum Volkskrieg aufgerufen haben.

Ihnen sind die anderen Antiimps zu realitätsfern geworden?

Hein: Viele von denen sind ziemlich weit weg von den realen Verhältnissen in Deutschland. Wir wollen eine Bewegung schaffen, die die Verhältnisse zum Wanken bringt. Die Leute nehmen dich auch nicht ernst, wenn du mit 30 Leuten zum bewaffneten Kampf aufrufst. Das ist Idiotie.

Neuerdings haben Sie sich umbenannt, von der Roten Szene in den Roten Aufbau, warum?

Hein: Weil wir den Begriff der Szene kritisch sehen. Wir wollen eigentlich gar keine Szene darstellen, weil das so etwas Kodiertes ist. Wir wollen eine Bewegung sein, bei der jeder mitmachen kann. Man muss nicht im linksradikalen Dresscode auftauchen, das ist uns egal. Wir wollen eine Bewegung der Unterdrückten aufbauen und keine Subkultur, die sich auf sich selbst bezieht.

Auf der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ spielt der Dresscode aber doch eine große Rolle …

Hein: Natürlich hat so ein schwarzer Block manchmal einen Sinn, eine Schutzfunktion, dass man eben nicht identifiziert werden kann. In anderen Bereichen geht das aber zu weit.

Wie wollen Sie eine Bewegung auf die Beine stellen?

Hein: Wir versuchen langfristige Strukturen aufzubauen und arbeiten daran, ein soziales Zentrum ins Leben zu rufen. Einen Nachbarschaftstreff, wo es Yoga gibt, wo jemand seinen 18., 20. oder 30. Geburtstag feiern kann, aber auch politische Diskussionen stattfinden – einen Ort, an dem man ein solidarisches Miteinander kennenlernt.

Laut Verfassungsschutz ist ja das „Internationale Zentrum B5“ Sitz und Treffpunkt Gewalt-bejahender Linksextremisten. Da sind Sie vor einem Jahr rausgeflogen.

Hein: Die B5 hat für Jugendliche schon so ein Auffangbecken geboten, um eine Jugendbewegung zu etablieren. Doch das scheint uns jetzt nicht mehr möglich.

Denken Sie an eine weitere Rote Flora?

Ernst Henning: Die Flora hätte wunderbare Möglichkeiten. Aber sie ist für mich zu einer Art Selbstzweck verkommen. Da finden ja vor allem Partys statt. Auch die Räume sind nicht einladend, das sieht ja so verwahrlost aus und ist auch nur noch für eine bestimmte Szene.

Gibt es auch einen inhaltlichen Streit mit den anderen Antiipms?

Henning: Es geht vor allem um die Art, wie Politik gemacht wird. Diese Leute haben einen sehr autoritären Politikstil – alles, was sich einer gewissen Linie nicht unterordnet, sehen die als Gegner und als überflüssig an. So erging es auch unserer Gruppe, aber wir lehnen dieses Schwarzweiß-Denken ab.

Hein: Antonio Gramsci hat es Philosophie der Praxis genannt: Es ist bei uns nicht nur der Weg – der ist ja auch immer Teil der Philosophie. Wir versuchen mit diesem dogmatischen Denken der Leute zu brechen, indem wir Sachen kritisieren. Wir sehen auch uns selbstkritisch: Wir wollen nicht wie so eine Polit-Sekte daherkommen.

Öffnen Sie sich auch für andere linke Gruppen?

Henning: Wir suchen schon den Kontakt zu anderen Gruppen, aber die haben ihn manchmal nicht so gerne.

Hein: Das ist ja immer so, dass Bewegungen, wenn sie so marginalisiert sind, sich noch weiter aufspalten, dass die Leute eher sich selbst bekämpfen, anstatt den großen Gegner. Wir glauben nicht, dass wir die revolutionäre Keimzelle sind. Mit so einer Stellvertreterpolitik haben wir gebrochen. Wir wollen jetzt Leute animieren, selber aktiv zu werden. Meinetwegen auch wie bei Recht auf Stadt.

Aber das Netzwerk Recht auf Stadt war Ihnen doch immer zu bürgerlich?

Hein: Das ist ein bürgerlicher Kampf, weil er systemimmanent bleibt. So etwas wie ein Recht auf Stadt kann es einfach nicht geben. Wir wollen primär keine bürgerlichen Rechte erkämpfen, sondern wollen es aufheben, dieses bürgerliche System.

Wenn man gegen den Staat ist, ist es schwierig, sich auf das Recht zu berufen.

Hein: Wobei wir das auch nicht komplett ablehnen: Wir sagen ja auch nicht bei Polizeigewalt: Das ist normal. Da muss man auch gegen angehen. Auch das Recht ist ein Kampfplatz.

Bestimmte Themen, etwa die Frage, wie man zu Israel steht, spalten die Linke. Die Antideutschen werfen Ihnen vor, antisemitisch zu sein.

Henning: Als Gruppe haben wir uns mit dem Nahost-Konflikt wenig beschäftigt, weil wir hier vor Ort Politik machen wollen. Einzelne Leute von uns waren schon mal in Israel und den Palästinensergebieten unterwegs. Die Diskussionen hier haben kaum Einfluss auf das, was vor Ort passiert.

Hein: Als Kommunisten haben wir schon ein Weltbild – wir sind ja auch Humanisten und als solche können wir es nicht tolerieren, dass ein Staat die Grundrechte einer Bevölkerung, die ihn nicht akzeptiert, unterdrückt. Aber dieser Konflikt ist ja weit weg – das hat man in den 70er-Jahren in Deutschland mit Nicaragua übrigens auch schon so gemacht: Man projiziert seine Sehnsüchte und Wünsche in ein anderes Land und kämpft nicht mehr hier für eine gesellschaftliche Veränderung.

Sie verstehen sich immer noch als Anti-Zionisten?

Ernst Henning

■ 24, ist Mitglied des Roten Aufbaus Hamburg. Er arbeitet im Hafen und hat die Gruppe im Zuge des Schulstreiks mitgegründet. Der Name ist ein Pseudonym.

Hein: Ja, wir sind gegen religiöse Staaten. Aber wir sind auch ganz klar gegen Antisemitismus in Deutschland, den es zu bekämpfen gilt.

Was wäre für Sie die Aufgabe Deutschlands im Kampf gegen Antisemitismus?

Hein: Unser erstes Anliegen müsste sein, dass Juden in Deutschland nicht diskriminiert werden, und die deutsche Schuld nicht in den arabischen Raum zu verschieben.

Im neuen Grundsatzpapier nehmen Sie sich selbst auf den Arm – zitieren die Spaltung der Volksfront von Judäa aus dem Film „Das Leben des Brian“.

Hein: Die linke Szene wirkt manchmal wie eine einzige Satire, da kann es nicht schaden, sich auch mal über sich selbst lustig zu machen.

Henning: Man darf sich auch nicht zu ernst nehmen.

Ist die ganze Spalterei am Ende gar eine PR-Aktion für die eingeSache?

Henning: Wir sehen das nicht als Spalterei. Man hat sich eben auseinandergelebt, weil es nicht mehr zusammen ging.

Wie wirkt sich dieses Auseinanderleben jetzt aus?

Hein: Wir ignorieren die, die versuchen uns zu ignorieren. Natürlich hat sich das am 1. Mai kristallisiert, bei zwei gleichzeitigen Demonstrationen.

taz.nord SEITE 22