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Archiv-Artikel

Sie genießt die Stille in Wilmersdorf

POP Balbina kommt vom HipHop, ist aber vor allem Poetin mit Sinn für Seltsames – und Ausnahmeerscheinung im deutschen Pop. Die Songs ihres aktuellen Albums, „Über das Grübeln“, singt sie heute in der Waldbühne

In der HipHop-Kultur fand Balbina die Möglichkeiten für einen eigenen Ausdruck

VON THOMAS WINKLER

Schon der Name. Balbina. So heißen doch christliche Märtyrerinnen aus dem zweiten Jahrhundert. Archäologinnen aus der Schweiz. Sopranistinnen aus Italien. Stauseen in Brasilien. Vielleicht könnte auch eine Fee so heißen oder eine Elbenfrau in Tolkiens Mittelerde. Oder eine besonders schön geschwungene Schrift, die es noch zu gestalten gilt.

Aber Balbina heißt wirklich so. Balbina Monika Jagielska. Geboren vor 32 Jahren in Warschau, aufgewachsen in Moabit und Kreuzberg. Und nun? Da gehen die Meinungen auseinander.

Die Welt hat eine „junge, unendlich kluge Frau“ getroffen und MTV eine „der spannendsten deutschen Künstlerinnen“ entdeckt. Im Rolling Stone droht Jens Balzer sogar: „Wenn aus dieser tollen Frau kein großer Star wird, gibt es für den deutschen Pop keine Hoffnung.“ Nur die direkte Konkurrenz sieht das etwas anders: Der Musik-Express verteilt das Prädikat „uninteressant“, diagnostiziert „angestrengte, umständliche Dichterei“ und sorgt sich um „buckelschief in der Poetenstube“ hängende Metaphern.

Wie immer liegt die Wahrheit wohl ungefähr in der Mitte. Tatsächlich fällt Balbina auf. Mit den Liedern ihres Ende April erschienenen Albums „Über das Grübeln“, die so anders sind als alles, was man gewöhnlich im Radio hören kann. Mit ihrem Gesang, der unwirklich und doch fest ist, emotionslos und doch intensiv. Und mit ihrem Äußeren.

Denn mindestens so wichtig wie die Musik ist ihr das Erscheinungsbild. Mode spielt im Konzept Balbina eine zentrale Rolle. Früher verdiente sie ihr Geld als Verkäuferin in Boutiquen. Heute gestaltet die Designerin Susann Bosslau ihre Bühnen-Outfits, und das „Musikmagazin“ Intro druckt ebenso eine Modestrecke mit Balbina wie die Vogue.

Wichtiger aber: Auf Fotos inszeniert sie sich in Kleidern mit scharfen Konturen und japanisch anmutender Strenge als eher unwirkliche denn unnahbare Schönheit mit maskenhaftem, unbewegtem Gesicht, das eingefasst wird von einem Rahmen aus langem, schwarzen Haar.

Was Mode alles kann, darüber hat Balbina natürlich ein Lied geschrieben. Es heißt „Kuckuck“ und erzählt davon, wie einen der gestärkte Hemdkragen selbst stärkt, wie einen die Knöpfe aber auch kneifen können. Aber „sitzt alles richtig“, dann ist Kleidung wie ein Panzer: „Das Gewand schirmt alles ab“, singt sie.

Hinter diesem Schirm versteckt sich, so hat es Balbina in Interviews erzählt, eine sensible junge Frau, die ein verträumtes Kind und deshalb ein Außenseiter war. Die sich missverstanden fühlte, in Fantasiewelten flüchtete und früh mit dem Schreiben begann. Die erst dann, als sie in der Szene um den Kreuzberger „Royal Bunker“ in Kontakt zum Rap kam, Gleichgesinnte fand und in der HipHop-Kultur endlich die Möglichkeiten für einen eigenen Ausdruck.

Die Nähe zum Rap, die Gastauftritte bei Kollegen wie Prinz Pi, die Jobs als Studiosängerin und die Tour mit den Atzen, all das ist noch zu hören auf ihrem Debütalbum, das sie 2011 unter dem Namen Bina herausbrachte. Dort treffen modisch knarzende Club-Beats auf relativ konventionelle Texte, die zwischen jugendlichen Zweifeln und Feierlaune oszillieren. Aber schon dort singt sie mehr, als dass sie rappt, klingt ihre Stimme deplatziert und vor der Zeit gealtert zwischen den Partyaufrufen.

Davon hat sich Balbina nun endgültig verabschiedet. Mittlerweile wohnt sie in Wilmersdorf, sie genießt die Stille dort, sagt sie, die man nun mal zum Grübeln braucht über solche Themen wie Schlaflosigkeit und Vergesslichkeit. Auf dem Album „Über das Grübeln“ erinnern eigentlich nur noch die Gastauftritte von Justus Jonas und Maeckes an ihre Rap-Vergangenheit – und ein vergleichsweise unorthodoxer Gebrauch der Sprache.

Über getragenen Rhythmen, sachte perlendem Klavier und melancholischen Moll-Harmonien benutzt Balbina gern Alliterationen und Binnenreime, assoziative Wortspiele und Lautmalereien. Dabei verrutscht zwar die eine oder andere Metapher, wirkt mancher Reim ungelenk, aber immerhin wagt es Balbina, Konventionen zu durchbrechen. Statt sich einzulassen auf biedere Selbstbespiegelungen, traut sich Balbina heran an Poesie – und an die Gefahr zu scheitern.

Das ist allemal spannender als jene Songs, mit denen eine ganze Generation von Nachwuchsliedermachern und -macherinnen mittlerweile die Charts verstopft. Und ist auch einem Herbert Grönemeyer aufgefallen. Der hat Balbina eingeladen, die Konzerte seiner aktuellen Tournee zu eröffnen. Als „Berliner Geheimtipp“ wurde sie den Grönemeyer-Fans angekündigt. So eine kann, so eine muss ja sogar einen Namen tragen wie Balbina.

■ Balbina: „Über das Grübeln“ (Four Music/Sony); live: 12. Juni, Waldbühne, im Vorprogramm von Herbert Grönemeyer