piwik no script img

Archiv-Artikel

Horrorbericht über die Republik der Angst

ERITREA Eine Sonderuntersuchung der UN-Menschenrechtskommission beschreibt erstmals umfassend die ganze Bandbreite von Verfolgung, die erklärt, warum Eritreer jedes Fluchtrisiko auf sich nehmen

„Ein Wort kann ausreichen, um festgenommen, inhaftiert, gefoltert zu werden“

VON DOMINIC JOHNSON

BERLIN taz | 5.000 Menschen fliehen aus Eritrea jeden Monat. Hunderttausende leben bereits als Flüchtlinge im Ausland und es werden immer mehr, obwohl Tausende bereits bei der Flucht gestorben sind. In Deutschland nimmt Eritrea unter den Herkunftsländern von Asylbewerbern den neunten Platz ein, mit 1.817 Anträgen von Januar bis April 2015. Die Eritreer fliehen vor einer der brutalsten Diktaturen der Welt. Was bisher nur stückchenweise über die Zustände in dem kleinen Land am Roten Meer bekannt war, hat jetzt eine Untersuchungskommission der UN-Menschenrechtskommission in mühevoller Kleinarbeit nach Hunderten von Interviews mit geflohenen Eritreern zusammengetragen. Ihr erschütternder Bericht wurde am Montag veröffentlicht.

„Eritreer leben in ständiger Angst“, so der UN-Bericht. „In Angst davor, irgendetwas zu sagen, das das weitverbreitete Netzwerk von Regierungsspionen als indirekte Kritik an der Regierung auffassen könnte. Sie zensieren sich selbst, auch innerhalb der Familie. […] Ein Wort in einem privaten Gespräch mit Freunden oder sogar in der Familie kann ausreichen, um festgenommen, inhaftiert, gefoltert zu werden und zu verschwinden.“ Die Regierung unter Präsident Isaias Afeworki „bringt jeden systematisch zum Schweigen, der sich traut, zu protestieren, die Regierung und ihre Politik zu hinterfragen oder zu kritisieren“.

Bewegungsfreiheit gibt es nicht. Wie einst im Apartheidsüdafrika muss jeder Bürger einen Pass mit sich führen, auf dem angegeben ist, in welchem Gebiet man sich bewegen darf. Wer woanders hin will, braucht eine Reisegenehmigung, die die Reiseroute und -daten genau festlegt. Auslandsreisen werden noch restriktiver gehandhabt. An Eritreas Grenzen herrscht Schießbefehl, wie einst in der DDR. Wer geschnappt wird, landet im Lager, teils jahrelang.

Schlüssel zur Kontrolle der Bevölkerung ist die Wehrpflicht, die für alle Männer und Frauen ab 18 Jahren bis zum Alter von 50 gilt und bis zum Alter von 40 Jahren dazu führen kann, dass man jederzeit eingezogen wird. Auf dem mitzuführenden Pass steht der Militärdienststatus. Kriegsdienst ist routinemäßig mit jahrelanger Zwangsarbeit verbunden – auf Baustellen, in Minen, in der Landwirtschaft. Die Lebensbedingungen für Rekruten sind oft tödlich.

Fehlverhalten fällt auf die gesamte Familie zurück. Auf Beihilfe zur illegalen Ausreise steht die Todesstrafe. Lebensmittelcoupons, ohne die man nicht überleben kann, werden nur ausgegeben, wenn die ganze Familie vorstellig wird – fehlt jemand, müssen die Zurückgebliebenen hungern. Familien von Geflohenen werden auch mit Geldstrafen belegt. Bei Nichtzahlung droht Haft oder auch der Rausschmiss von Kindern aus der Schule, was sie wiederum dem Risiko der Verhaftung bei Razzien aussetzt.

Zu den in Eritrea verbreiteten Haftgründen gehören dem Bericht zufolge: „sich nach Verschwundenen erkundigen oder nach Haftgründen fragen“, „beim Militärdienst Fragen oder Forderungen stellen“, „über die Regierungspolitik diskutieren“, „mutmaßlich beabsichtigter Rechtsbruch“ oder „mutmaßlich versuchte Kriegsdienstverweigerung oder Ausreise“.

Haftbedingungen in Eritrea sind unvorstellbar brutal. Vielerorts werden Gefangene in Metallcontainern zusammengepfercht oder gleich in Erdlöchern oder Zellen ohne Tageslicht, manchmal monatelang. Ein Exhäftling schilderte der UN-Kommission seinen Monat im Gefängnis Mai Serwa: Er stand mit 18 anderen Gefangenen in einem Container von 5 mal 1,50 Metern, kaum hoch genug zum Aufrechtstehen. Tagsüber war es unerträglich heiß, nachts unerträglich kalt, die Menschen waren den ganzen Tag zusammengepfercht außer zum Toilettengang, Waschmöglichkeiten gab es nicht. Ein anderer verbrachte drei Monate in einer unterirdischen Zelle ohne Licht und wusste hinterher nicht genau zu sagen, wie groß sie überhaupt war und ob sich darin nicht auch noch andere Menschen befunden hatten.

Als beliebte Foltermethoden beschreiben Exhäftlinge die „Hubschrauber“-Position, bei der man mit hinter dem Rücken gefesselten Händen und Füßen am Baum hängt; die „Jesus“-Position, bei der man mit ausgebreiteten Armen an einen Baum gefesselt steht und nur die Zehenspitzen den Boden berühren; oder die „Diamant“-Position, bei der man mit hinter dem Rücken gefesselten Armen an den Ellenbogen aufgehängt wird. Andere werden gezwungen, stundenlang in die gleißende Sonne zu starren, oder nachts mit Plastiktüten über dem Kopf gefesselt.

Die UN-Kommission spricht insgesamt von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Eine Reaktion Eritreas gab es zunächst nicht. Die eritreische Regierung hatte jede Zusammenarbeit mit der Kommission verweigert und ihr auch nicht die Einreise erlaubt. Die Kommission war vor einem Jahr gegründet worden, nachdem Eritrea sich mehrere Jahre lang nicht an nichtöffentlichen Versuchen zum Dialog mit der UNO über die Menschenrechte beteiligt hatte. Ähnliche UN-Kommissionen gibt es nur zu Syrien und Nordkorea.