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Archiv-Artikel

Sehnsucht nach Revolte

GESCHICHTE Die alternativen Dorfdiscos waren schon in den 90ern Museen ihrer eigenen Vergangenheit. Gerade darum waren sie überlebenswichtig

Die alternative Dorfdisco ist heute ein Fall für das Museum: In Jever waren in der Ausstellung „Break on through to the other side“ technisches Equipment, Plakate und andere Fundstücke „progressiver“ Diskotheken der Weser-Ems-Region ausgestellt – mit großem Besucher-Andrang. Aber auch Buchmarkt und Lokalpresse haben in den vergangenen Jahren ein ansehnliches Archiv dieser früher mal untergründigen Zeitgeschichte angehäuft.

Man arbeitet sich wohl auch deshalb daran ab, weil diese aufregende Zeit mit experimenteller Musik und bewusstseinserweiternden Drogen immer noch nachschillert. Und tatsächlich ist mit den alternativen Dorfdiscos etwas Bedeutsames verloren gegangen: Sie waren Fluchtort für AußenseiterInnen, die hier vor der Tristesse des Dorflebens in unterschiedlichsten Subkulturen untergekommen waren. Sie konnten gar nicht anders, als irgendwie miteinander auszukommen: Gruftis, Punks und Metalheads.

Menschen werden älter und reden dann gerne über früher. Das ist keine Überraschung, aber eben nur die halbe Geschichte. Denn in den letzten Jahren der Progrock-Discos hat sich etwas noch einmal verdoppelt, was in der Pop-Musik schon immer angelegt war: Dass sie nämlich immer schon alles Mögliche, seit ein paar Jahrzehnten aber vor allem sich selbst zitiert. In den Discos war das erfahrbar: Ende der 90er-Jahre, bevor sie dann reihenweise dichtmachten, waren diese Läden längst Museen ihrer eigenen, gerade noch lebenden Geschichte – sie zeigte sich in den Requisiten, die dort herumstanden, in der Musik, die aufgelegt wurde, in den Dresscodes der Gäste.

In seinem in den nächsten Tagen erscheinenden Buch „Deutschpop halt’s Maul“ schreibt Testcard-Mitherausgeber Frank Apunkt Schneider über das norddeutsche Dorf, dass es dort nichts zu lieben gebe „außer eben der Popkultur“, die einen da rausholt. Eben darum ist Pop nicht gleich Pop. „Man hat in der Musik gemeinsame Sehnsuchtsorte gesucht“, sagt Schneider – und die waren immer ganz woanders als hier und jetzt: „Mit den Beatles nach Liverpool. Oder auf den Himalaja, wenn man lieber Krautrock gehört hat.“ Das sei heute anders: Deutschpop, gerade der alternative, sei Mitmach-Programm.

Die Disco dagegen war in den Alltag eingeschriebene Gegenwelt zu der alltäglichen Scheiße aus Schule, Ausbildung und Schützenfest. Man möchte den Nostalgikern ausnahmsweise einmal Recht geben: Dieser Ort gehört nicht einer Generation, sondern hat die Geschichte von drei Jahrzehnten Widerstand aufbewahrt – der dort eben auch gelebt wurde.

Damit ist nun Schluss. Schule, Ausbildung und Schützenfest aber – die gibt es immer noch.  JAN-PAUL KOOPMANN