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Archiv-Artikel

Deutschlands seltsamstes Gebäude

KULTURPOLITIK Der Neubau des Berliner Stadtschlosses, lange Jahre heiß umkämpft, feiert Richtfest. Die Frage ist nun, ob das Humboldtforum, das es beherbergen soll, die Ansprüche erfüllt

Stand heute: Entscheidend wird wohl nicht das Gebäude selbst werden, sondern was man mit ihm anfängt

VON DIRK KNIPPHALS

Neil MacGregor, der Weltstar unter den Museumskuratoren und Gründungsintendant des Humboldtforums, das ab 2019 das dann fertig gebaute Berliner Stadtschloss mit Sinn erfüllen soll, hat einen Sinn für die Brüche und die Seltsamkeiten in Deutschlands repräsentativen Gebäuden.

Der Pariser Arc de Triomphe, das Londoner Wellington-Denkmal am Hyde Park – das sind ungebrochene Zeugnisse nationaler Erzählungen. Die Inschrift „Dem bayerischen Heere“ am Münchner Siegestor aber, nur ein Beispiel von vielen, verschweigt den Umstand, dass Bayern während der Napoleonischen Kriege die meiste Zeit gegen andere deutsche Staaten gekämpft hat. Mit dem Siegestor lässt MacGregor sein Buch „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ beginnen, das im September auf Deutsch erscheinen wird. Selbstverständliche Repräsentationsorte einer einheitlichen nationalen Erzählung gibt es für ihn in Deutschland schlicht nicht. Was heißt das für das Berliner Stadtschloss?

Nachdem es jahrelang erbittert umkämpft war, wächst das Schloss nun entschlossen heran zwischen Alexanderplatz, Museumsinsel und Unter den Linden. Während man an der Baustelle vorbeifährt – der nackte Beton steht dem Gebäude zurzeit erstaunlich gut! –, ist durchaus noch Trauerarbeit zu leisten. Die Wiese, die es hier übergangsweise gab – hätte sie die Offenheit einer liberalen Bürgergesellschaft nicht gut symbolisiert? Oder hätte ein moderner Neubau nicht neue Impulse geben können? Diese Chancen wurden vertan. Aber was für ein Glücksgriff Neil MacGregor ist, kann man auch schon erahnen. Mit seinem Blick für Brüche und Seltsamkeiten lässt sich dem Schlossbau etwas abgewinnen.

Im Grunde entsteht hier gerade Deutschlands seltsamstes Gebäude. Es wird ein 184 mal 117 Meter großer moderner Betonbau sein, der teilweise wie ein barockes Schlosses aussehen, teilweise wiederum die Anmutung eines Neubaus haben wird. Durch seine Höfe und Portale wird man, ganz im Gegensatz zu einem Herrschaftsgebäude, Tag und Nacht flanieren und mit dem Fahrrad fahren können. An der Spree wird man sitzen können. Und auf einer Fläche von insgesamt 41.000 Quadratmetern wird das Gebäude die Vielfalt der Kulturen der Welt präsentieren an der Stelle, an der einst die Hohenzollern residierten, dann die Weimarer Republik ausgerufen wurde, dann die Volkskammer der DDR tagte. Statt nach dem einheitlichen restaurativen Narrativ, das viele (auch ich) hinter der Rekonstruktionsidee vermuteten, sieht das inzwischen eher nach einem kunterbunten Architektur- und Geschichtspatchwork aus.

Auf Baustellenbegehung

Kürzlich war Baustellenbegehung. Einmal ging ein Ah durch die Journalistengruppe, die mit Schutzhelmen bewehrt durch die Saalfluchten stapfte. Das war – als man vom ehemaligen Rittersaal über den Lustgarten auf das Alte Museum und den Dom schaute – schon ein atemberaubendes Panorama. Sowieso: Der überproportionierte Dom, mit der Schlossfassade konfrontiert, schrumpft optisch, die griechische Fassade des Alten Museums gewinnt dagegen noch mehr. Einsichtig wird nun auch die Straßenführung von Unter den Linden, die sich wie beim Billard am Schloss abstößt.

Ansonsten wirkt das Gebäude innen weniger gewaltig, als man es sich von außen gedacht hatte. Die Tag und Nacht offenen Portale zum Schlüterhof geben Hoffnung, dass der Bau sich ins urbane Leben eingliedern wird. Ziemlich enttäuschend ist dagegen die moderne Ostfassade, die an ein Bürogebäude erinnert.

Stand jetzt – die nachgebauten Barockteile, die an die Fassaden gehängt werden, fehlen noch und können den Eindruck noch einmal entscheidend verschieben –, lässt sich feststellen, dass so eine Begehung in der Lage ist, den Befürchtungen vor diesem Gebäude die Spitze zu nehmen. Es ist halt ein guter Kompromiss, vielleicht nicht supertoll, aber handhabbar. Entscheidend wird wohl nicht das Gebäude selbst werden, sondern was man mit ihm anfängt.

Dafür ist Horst Bredekamp zuständig, zusammen mit Neil MacGregor und Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. In einer anderen Troika, mit dem Präsidenten des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann und dem damaligen Chef der Berliner Nationalgalerie Peter-Klaus Schuster, arbeitete der Kunsthistoriker Bredekamp auch 2001 das ursprüngliche Konzept des Humboldtforums aus.

Bredekamps Professorenzimmer an der Humboldt-Uni (!) liegt nur ein paar Hundert Meter vom Schlossbauplatz entfernt. Zwei Komponenten kommen für ihn bei der Idee zum Hulboldtforum zusammen. Zum einen geht es darum, die Kunstkammer, die es im Schloss gegeben hat und die einen Mikrokosmos der Welt in Artefakten präsentiert habe, als Denklabor zu rekonstruieren. Zum anderen sollen die ethnologischen Sammlungen, die derzeit in Berlin-Dahlem liegen, ins Zentrum geholt werden.

Bredekamp: „Die Hauptstadt einer großen Nation rekonstruiert in ihrem Schloss eine mikrokosmische Welt, in der die außereuropäische Kunst dominiert. Der kostbarste Platz einer Republik wird genutzt, um die eigene Kultur zu transzendieren. Kein einziges Land hat dies bisher gewagt.“ Was Bredekamp damit verknüpft, sind „ein pazifizierendes Element“, „ein Moment von Großzügigkeit“, eine „Rückkehr zu einer Kultur, die universalistisch gedacht hat, aus der Wilhelm von Humboldt und Alexander von Humboldt kamen“, sowie eine prinzipielle Offenheit: „Das Schloss soll ein lebendiger Ort werden, ein äußerst lebendiges Bürgerhaus.“

Interessant ist das alles deshalb, weil damit gleichzeitig Ansprüche formuliert sind, die das Humboldtforum erfüllen muss, um damit auch den 590-Millionen-Euro-Neubau des Schlosses endgültig zu legitimieren. In der Öffentlichkeit ist derzeit eine Art Tauziehen zu beobachten. Die offizielle Kulturpolitik versucht, mit der Idee zum Humboldtforum abzuheben. Kulturstaatsministerin Monika Grütters schreibt: Die „Neugier auf das Andere, das Fremde, das Neuartige soll im Humboldtforum Gestalt annehmen“. Skeptische Journalisten dagegen versuchen dieses Hochfliegende mit kleinteiligen Fragen wieder herunterzuholen. Dafür haben sie tatsächlich Ansatzpunkte. So hat MacGregor gerade mal einen Zweijahresplan unterschrieben, nebenbei will er noch Radioreihen konzipieren. Mit links lässt sich das Humboldtforum allerdings sicher nicht verwirklichen.

Ansprüche ernst nehmen

Aber vielleicht sollte man auch die Ansprüche ernst nehmen. Das „Denklabor“, das Bredekamp vorschwebt und das das Projekt auch tatsächlich werden muss, darf keineswegs der Ort westlich-moderner Identitätsvergewisserung werden, der einem in den PR-Maßnahmen rund um das Forum derzeit vorgeführt wird. Es muss ein Ort tatsächlicher Produktion und Vermittlung von Wissen sein. Dass Anorak ein Inuitwort ist und schon die Azteken Icons benutzten, wie man in einem Magazin zum Humboldtforum lesen kann, mag uns Heutige zwar narzisstisch bespiegeln. Es reicht für eine Transzendierung der eigenen Kultur aber kaum aus.

Und, noch ein Punkt, wer weiß schon, ob der Offenheit und der Lebendigkeit des ganzen Projektes nicht doch noch Repräsentationsinteressen von Regierungsstellen entgegenstehen werden. Wenn im Schloss dauernd Staatsempfänge stattfinden, hat es sich was mit dem Bürgerhaus.

Man denkt derzeit: Scheitern kann das ganze Projekt eher an solchen Punkten. An dem Gebäude selbst scheitert es wohl eher nicht. Am 12. Juni ist Richtfest. Am 13. und 14. Juni gibt es Tage der offenen Baustelle. An ihnen können sich alle Interessierten selbst ein Bild machen.