Männer an Kaffeemaschinen, machtlos

RETROSPEKTIVE Die Filme des französischen Regisseurs Claude Sautet (1924–2000) sind im Kino Arsenal neu zu entdecken. Sie bescheren Michel Piccoli, Romy Schneider, Automobilen und Tabakwaren wunderbare Auftritte

Claude Sautet glänzt, wo es gilt, im Spiel bewegter Beziehungen auch von den materiellen Nöten der Existenz zu erzählen

VON SILVIA HALLENSLEBEN

Als Jean-Luc Godards „A bout de souffle“ („Außer Atem“) 1960 die Kinowelt erschütterte, gab fast zeitgleich auch ein anderer französischer Regisseur sein Langfilmdebüt. Auch „Classe tous risques“ („Der Partner wird gehetzt“) spielte im Milieu kleiner und größerer Ganoven, auch hier wurde der blutjunge Belmondo mit dem Auto von der Côte d’Azur nach Paris geschickt. Doch der Regisseur Claude Sautet war nicht nur ein paar Jahre älter als die verschworenen Filmkritiker von den Cahiers du Cinéma. Der 1924 bei Paris geborene Filmemacher hatte auch keinen Hang zur Bilderstürmerei. Im Gegenteil probte er sich in der Kunst, die klassische Inszenierung durch darstellerische Präzision und Eleganz zu perfektionieren.

Sautet war von der Bildhauerei zum Film gekommen und hatte nach dem Studium an der Pariser Filmhochschule IDHEC Praxis als Drehbuchautor und als Regieassistent unter anderem bei Jacques Becker gewonnen. Der Durchbruch kam 1970, zehn Jahre nach dem Debüt, mit „Les choses de la vie“ („Die Dinge des Lebens“), der im kaleidoskopisch gebrochenen Rückblick auf Szenen eines bürgerlichen Lebens zu einer eigenen Grammatik fand. Dazu gehörten im positiven Sinn pointenfreie Drehbücher und ausgetüftelte Ensembleszenen, die mit Tiefenstaffelungen wie bei Tati den Durchblick auf detailreiche Sittengemälde aus dem Frankreich der 1960er bis 80er eröffneten. Neben anderen Dingen auch dabei: tolle Automobile, Speisen, Trank und reichlich Tabakwaren.

„Les choses de la vie“ begründete auch die lebenslange Freundschaft zu Philippe Sarde, dessen sparsam akzentuierte melancholischen Klänge Sautets Filme fortan begleiten, und die Arbeitsbeziehung zu Romy Schneider, die bei ihm ihre besten Seiten zeigen konnte: In „Max et les Ferrailleurs“ („Das Mädchen und der Kommissar“, 1971) als selbstbewusste, von einem Polizisten (Michel Piccoli, auch ein Sautet-Regular) emotional missbrauchte Prostituierte. In „Mado“ (1976) – wie eine Vorahnung – als früh gealterte alkoholkranke Witwe. Und in „Une histoire simple“ („Eine einfache Geschichte“, 1978) darf sie als mitten im Leben stehende Mutter eines halbwüchsigen Sohnes den Aufbruch wagen.

Solch optimistische Momente sind, trotz reichlich untergründigen Humors, die Ausnahme: Meist erweisen sich die glitzernde Momente des Lebens beim Baden am Flussufer oder einer Landsause schnell als flüchtige Illusion. Das erinnert an Jean Renoir – wie dieser glänzt auch Sautet in der in Frankreich bis heute geübten Kunst, im Spiel bewegter Beziehungen auch von den materiellen Nöten der Existenz zu erzählen. Ausreißer nicht nur in dieser Hinsicht sind die beiden letzten – von vielen Kritikern verklärten – Filme aus den 1990ern, „Un coeur en hiver“ („Ein Herz im Winter“) und „Nelly & Monsieur Arnaud“, bei denen soziales Setting und das puppenhafte Gesicht von Emmanuelle Béart nur noch Staffage für die Konstruktion des Begehrens zu sein scheint.

„Erbarmen mit den Männern“ lautet der Titel eines von dem verstorbenen Filmkritiker Michael Althen und dem Regisseur Dominik Graf verfassten Beitrags zu einem Sautet-Sonderheft der Filmzeitschrift Steadycam. Passender Titel auch für ein Werk, bei dem die Männer nicht nur beim Umgang mit Kaffeemaschinen ein schwaches Bild abgeben, auch wenn sie meinen, das Heft in der Hand zu haben. Dabei fehlt jeder misogyne Unterton auffällig, den Verrat verüben bei Sautet (im Unterschied zu Godard) nicht die Geliebten, sondern die eigenen Kumpels. Und wenn die Frauen die Männer verlassen (das weibliche „je te quitte“ ist einer der häufigsten Sätze), dann aus gutem Grund.

Knapp zwei Jahre vor seinem Krebstod im Jahr 2000 machte sich Sautet in einer außergewöhnlichen Anstrengung daran, die bisherigen Arbeiten noch einmal neu zu schneiden. Aber nicht in der bei solchen Director’s-Cut-Versionen üblichen verlängerten Fassung. Sautet, ohnehin schon ein Meister des elliptisch verkürzten Erzählens, nahm aus den Filmen noch einmal einzelne Bilder, Szenen oder Einstellungen heraus, die ihm mittlerweile überflüssig erschienen – von 27 Sekunden bis zu ganzen elf Minuten bei „Mado“.

Schön, dass bei der am Freitag im Arsenal beginnenden Retrospektive drei der Filme in beiden Versionen gezeigt werden. Das eröffnet eine weitere Dimension des Vergleichs: Denn da die frühen Fassungen auf 35-mm-Film vorliegen, die nachgeschnittenen aber in digitaler Form als DCP, gibt es auch die Gelegenheit, die digitale und analoge Version eines Film einmal (fast) direkt nebeneinander zu sehen.

■ Retrospektive Claude Sautet, 5.–30. Juni, Kino Arsenal