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Archiv-Artikel

Nacktkontrollen bleiben erlaubt

MÄDCHENHEIM Weil der Träger klagte, hat das Kieler Landesjugendamt Auflagen für den Heimbetreiber Friesenhof entschärft. Die Linke in Hamburg will nun Akten einsehen

Das Mädchenheim

Der Jugendhilfeträger Friesenhof betreibt drei Häuser in Dithmarschen mit 50 Plätzen.

■ In einem Stufenkonzept durchlaufen die Mädchen nacheinander die Häuser „Mädchencamp Nana“, „Charlottenhof“ und „Campina“. Allerdings wurde Campina mittlerweile geschlossen.

■ In der Aufnahmephase ist der Tag streng durchstrukturiert. Um 5.45 ist Aufstehen und Morgenhygiene, um 21 Uhr Nachtruhe.

■ Aus Hamburg, Niedersachsen, NRW und Sachsen-Anhalt sind derzeit Mädchen in den Heimen, aus Schleswig-Holstein nicht.

VON ESTHER GEISSLINGER UND KAIJA KUTTER

Während in Kiel und Hamburg Pressekonferenzen liefen, standen in Dithmarschen die Prüfer vor den Mädchenheimen Nanna und Charlottenhof. Der Vor-Ort-Termin der Kieler Heimaufsicht sei schon länger geplant gewesen, sagte die Staatssekretärin des Kieler Sozialministeriums, Anette Langner. Der Zeitpunkt nach Bekanntwerden von Vorwürfen gegen den privaten Betreiber Friesenhof sei reiner Zufall. Die Einrichtung, in der Mädchen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren untergebracht sind, steht wegen rigider Erziehungsmethoden in der Kritik.

„Wir haben die Vorwürfe ernst genommen, wir sind mit dem schärfsten denkbaren Instrument vorgegangen“, sagte Langner, zu deren Ministerium das Landesjugendamt sowie die Heimaufsicht in Schleswig-Holstein gehören. Nach Bekanntwerden mehrerer Vorfälle fand im Januar eine unangemeldete Prüfung statt. Dabei fand die Heimaufsicht konkrete Mängel, darunter fehlenden Fenstergriffe, die es etwa im Brandfall unmöglich machten, die Zimmer zu verlassen.

Die Beschwerden der Mädchen und zweier ehemaliger Mitarbeiter, die sich unabhängig voneinander an die Heimaufsicht gewandt hatten, gingen aber in eine andere Richtung. Zum Beispiel gebe es ein „Patinnen-System“, bei dem je ein Mädchen für das Fehlverhalten eines anderen haften muss. Auch von „Anschreien, Beschimpfungen, Wecken zur Nachtzeit, Essensentzug, Zwang zur Essensaufnahme, Zwang zum Tragen bestimmter Kleidung, Zwang zum Entkleiden, Sprechverbot, Strafsport“ war die Rede.

„Es gibt keine 100-prozentige Sicherheit, dass alle diese Dinge passiert sind“, betonte Langner. Daher habe das Heim seine Betriebserlaubnis behalten, allerdings unter scharfen Auflagen. Darin ist aufgezählt, welche Dinge nicht mehr stattfinden dürfen – ohne dass das Ministerium belegen kann, dass es sie gab.

Einen Teil der Vorwürfe räumten der Betreiber Friesenhof laut Langner allerdings ein, darunter das inzwischen gestoppte „Patinnen-System“. Auch Nackt-Kontrollen habe es gegeben, wobei aber nur weibliche Angestellte anwesend gewesen seien. Die Mädchen wurden dabei auf Waffen und Drogen untersucht – es habe einen Fall gegeben, bei dem ein „Stilett im BH“ gefunden wurde, hieß es in Kiel.

Der privat-kommerzielle Friesenhof hatte zunächst gegen die Auflagen des Ministeriums in Gänze geklagt, da die Betreiber einige Vorwürfe als Unterstellung zurückgewiesen hatten. Inzwischen ist die Klage zurückgezogen. Betreiber und Aufsicht haben sich auf den konkreten Auflagenkatalog geeinigt. Langner machte deutlich: „Ein Verstoß, und die Betriebserlaubnis wird entzogen.“ Für die erneute Prüfung führten Mitarbeiter gestern Nachmittag noch Gespräche mit den Mädchen. Das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Derweil spricht Heimleiterin Barbara Janssen von einer bösen Kampagne von ehemaligen Mitarbeitern, die vor allem die Mädchen treffe. „Für alle Maßnahmen, die ergriffen werden, gibt es einen Grund.“ Zum Beispiel werde ankommende Post in Gegenwart der Mädchen geöffnet, weil es schon passiert sei, dass eine Großmutter Marihuana mitschickte. „Es gab eine Verfügung, die nicht mit mir abgesprochen war“, sagte sie der taz. Nach einem längeren Gespräch mit der Heimaufsicht habe man sich Mitte April auf eine „Vereinbarung“ verständigt, „in der die Dinge ganz anders dargestellt werden“.

In der Tat liest sich dieses Dokument anders als der Auflagenbescheid vom 30. Januar. Körperkontrollen, auch das vollständige Entkleiden einer Bewohnerin, sind erlaubt, sofern sie durch weibliche Betreuungskräfte durchgeführt werden und der Anlass dokumentiert ist. Persönliche Gegenstände dürfen den Mädchen abgenommen werden, wenn ihr Besitz eine „Beeinträchtigung ihrer Erziehung“ bedeutet. Telefonate und Post können unter bestimmten Bedingungen kontrolliert werden. Und mit Zustimmung der Sorgeberechtigten und des Jugendamtes wird den Mädchen in den ersten acht Wochen nach ihrer Aufnahme der Kontakt zu Dritten untersagt. Erlaubt ist nur der Kontakt mit dem Jugendamt.

Janssen sagt, dass die Mädchen in den seltensten Fällen freiwillig im Friesenhof sind, aber es für viele die letzte Anlaufstelle sei. „Die meisten haben Auflagen vom Gericht oder die Eltern wissen nicht mehr weiter.“ Das mehrstufige Bewährungs-System und der strikte Tagesablauf helfe den Mädchen. Eine Evaluation der nunmehr 15-jährigen Heimarbeit gebe es leider nicht. „Dazu kommen wir nicht. Wir sind zu sehr mit dem Tagesgeschäft beschäftigt.“

Kontaktsperren und Stufenkonzepte seien pädagogisch nicht „State of the art“, sagte die Erziehungswissenschaftlerin Leonie Wagner vom „Verband Kinder und Jugendarbeit“ auf der Pressekonferenz der Hamburger Linken zu den Zuständen bei Friesenhof. Gerade für Kinder mit belasteten Lebensgeschichten sei dies nicht förderlich. Auch die Bürgerschaftsabgeordnete Sabine Boeddinghaus bekräftigte ihre Kritik. „Wir haben Zweifel, ob im Friesenhof im Sinne des Jugendhilfegesetzes gearbeitet wird“, sagte sie. Um dies zu klären, werde Die Linke gemeinsam mit anderen Fraktionen ein Aktenvorlageersuchen stellen.