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Archiv-Artikel

Global denken, lokal tanzen

Auf die alte Frage gibt es weiterhin keine befriedigende Antwort: Kann ein Sound eine politische Dimension besitzen? Klang ohne Text eine Aussage transportieren? Den Punks wurde von Nazi-Rockern einst schmerzhaft vor Augen geführt, dass vermeintlich anarchischer Gitarrenlärm auch missbraucht werden kann. Die Rave-Generation glaubte trotzdem an das Gute in ihrer Musik. Vor dem Gott des geraden Beats würden alle gleich, im elektronischen Rhythmus fände die Welt zusammen in Glück und Harmonie, während Dr. Motte von Friede, Freude, Eierkuchen predigt.

Viel von dieser euphorischen Aufbruchstimmung ist nicht geblieben, immerhin einige Überbleibsel. Etwa, dass Paul van Dyk seine Alben weiter tapfer „Politics of Dancing“ nennt. Auf der dritten Auflage finden sich die pulsierenden Techno-Tracks, mit denen der wichtigste Berliner DJ-Export zum weltweit gefragten Markenartikel wurde. Mal ist die Stimmung weich und sommerlich, mal geradezu bösartig und bassig, dann aber auch gern so aufgeräumt und penetrant gut gelaunt wie auf der Kirmes. Was die Politik angeht: Einige Tracks versprechen zwar im Titel gewissen Tiefgang, verkünden aber nicht mehr als oberflächliche Weisheiten. „What We’re Living For“ hält die Message bereit, dass wer nur nach hinten blicke, niemals erfahren könne, wofür es sich zu leben lohnt. „Come With Me (We Are One)“ verzichtet ganz auf Text und verkündet seine frohe Botschaft mit Hilfe von lustig flatternden Keyboardflächen und pulsierenden Bässen. Rave on für eine bessere Welt, soll das wohl heißen.

Die Ohrbooten haben sich nie als politische Band gesehen, aber hatten doch eine politische Dimension. Weil sie als Straßenmusiker durch Europa reisten und ihre internationalen Einflüsse von Reggae über HipHop bis Balkan Beats mit Berliner-Schnauze-Texten kurzschlossen, einerseits mittelgroße Hallen füllten und andererseits auf dem Boxhagener Platz spielten, ließ sich ihre Musik als Umsetzung eines in linken Zirkeln beliebten Grundsatzes interpretieren: Think globally, act locally. Diesen Ansatz setzen sie auch auf „Tanz mal drüber nach“ wieder um. Das fünfte Album des Berliner Quartetts findet eine gelungene Balance zwischen Tanzbarkeit und Textlastigkeit, persönlichen Themen und gesellschaftlicher Relevanz. Aber auch die Ohrbooten beantworten schlussendlich nur eine Frage tatsächlich befriedigend: Wo geht’s hier zur nächsten Party?

THOMAS WINKLER

■ Paul van Dyk: „Politics of Dancing 3“ (Ultra Music/Sony)

■ Ohrbooten: „Tanz mal drüber nach“ (OMN/Rough Trade)