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Archiv-Artikel

Das Maß des Stiefelschritts

BAUGESCHICHTE Architektur war fast bis zuletzt Bestandteil des nationalsozialistischen Regimes. Ein Kolloquium im Rahmen der Reihe „Kunst im NS-Staat“ in der Topographie des Terrors betrachtet deren Bedeutung für Berlin

Architektur im Nationalsozialismus

In der seit Anfang des Jahres laufenden Reihe „Kunst im NS-Staat“ in der Topographie des Terrors wird nach der bildenden Kunst, der Literatur, dem Theater und dem Film nun am Samstag in einem Kolloquium die „Architektur im NS-Staat am Beispiel Berlin“ diskutiert. Im Juni gibt es zum Abschluss der Reihe noch Veranstaltungen zur Bedeutung der Musik für das NS-Regime und den Versuch einer Bilanz. Einen Überblick über die Berliner Umgestaltungsplanungen bekommt man auch in der Schau „Mythos Germania“ der Berliner Unterwelten im U-Bahnhof Gesundbrunnen. Die Ausstellung ist von 2. April bis 29. November Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt beträgt 6/5 €. Info: berliner-unterwelten.de TM

■ Architektur im NS-Staat am Beispiel Berlin: Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 30. 6., 14–18 Uhr, Eintritt ist frei. Anmeldung unter veranstaltungen@topographie.de oder Tel. 2 54 50 90

VON THOMAS MAUCH

Wenn ein Haus, mal zum Sprechen gebracht, gar nicht davon reden will, wie nett es da drin zugehen kann und dass man hier auch gern zu Hause ist, sondern wenn dieses Haus nur markig zum Ausdruck bringen soll, dass hier ein Volksgenosse wohnt: das ist es wohl, was die Nationalsozialisten mit ihrem viel beschworenen „Wort aus Stein“ meinten.

Die Architektur war bedeutsamer Bestandteil des nationalsozialistischen Regimes. Gern rühmten sich die Machthaber in der Propaganda ihrer Bauleistungen. Wobei die Nationalsozialisten dann in Wirklichkeit statt der Wohnungen doch mit einem weitaus größeren Engagement Kasernen bauten. Vorzugsweise sollte der männliche Volksgenosse eben Soldat sein und die Frau Mutter, damit aus den Kindern wieder neue Soldaten werden. Man kann auch dieses soldatische Prinzip, etwas genauer hingeschaut, an der Architektur der Nationalsozialisten ablesen, dem Wort aus Stein.

„Die deutsche Nation“, begeisterte sich Alfred Rosenberg, führender Ideologe der NSDAP, „ist eben drauf und dran, endlich einmal ihren Lebensstil zu finden … Es ist der Stil einer marschierenden Kolonne.“ Der Stiefelschritt wird Maß für die Architektur. Die organisierte, uniformierte und disziplinierte Masse ist in den großen und repräsentativen Bauten des NS-Regimes immer schon gleich mitgedacht. Zusammen mit dem Bild der marschierenden Massen sind die NS-Bauten – als dessen architektonischer Resonanzboden – erst komplett.

Ein paar markante Fingerzeige dieser Architektur finden sich noch in Berlin. Natürlich der Flughafen Tempelhof, das Olympiastadion, vor allem aber das ehemalige Reichsluftfahrtministerium in der Wilhelmstraße, heute Sitz des Bundesfinanzministeriums.

Wenn man allerdings in die Zukunft schaut, wie sie die Nazis für sich erträumt hatten, sind diese schon recht markigen Worte aus Stein allenfalls Kinkerlitzchen. Geplant war für (das weit in den Osten hinein erweiterte) Deutschland ein riesenhaftes Umgestaltungs- und Neubauprogramm in den Städten mit den klobigen Bauten der Gauforen rund um mächtige Aufmarschplätze, eine uniforme Architektur, überall gleich in der Gestaltung. Aus Berlin sollte die Reichshauptstadt Germania werden mit architektonischen Vorhaben, für die das Wort „gigantomanisch“ nicht mehr wirklich ausreicht. Bis fast zum Ende des Krieges wurden diese größenwahnsinnigen Planungen einer auf die „Große Halle“ mündenden Prachtstraße vorangetrieben.

Im Rahmen der Reihe „Kunst im NS-Staat“ in der Topographie des Terrors werden diese Planungen am Samstag bei einem Kolloquium vorgestellt. Geleitet wird es von dem Architekturhistoriker Wolfgang Schäche, der in seinem Vortrag den architektonischen Weg von Berlin zur zukünftigen Nazi-Metropole Germania beschreibt. Auch das Zusammenspiel von Architektur und Propaganda wird am Beispiel der Berliner Planungen vorgestellt – und dass diese Vorstellungen der Nationalsozialisten von Architektur untrennbar mit Krieg und Ausbeutung verbunden sind.

Der Krieg ist integraler Bestandteil der NS-Architektur als „gebaute Ideologie“

So kalkulierten die Nationalsozialisten die Kosten dieser Umgestaltungspläne nur recht ungefähr. Getragen werden sollten sie schließlich von den „Besiegten“, worauf auch Winfried Nerdinger, Gründungsdirektor des gerade eröffneten NS-Dokumentationszentrums München, in seinem auf das Kolloquium hinführenden Vortrag vergangene Woche verwies. Der Krieg ist integraler Bestandteil der NS-Architektur als „gebaute Ideologie“: Als Stärkung der Autorität der NS-Herrschaft, erklärte Nerdinger, sollte sie dienen, als Demonstration eines starken Staates und als sichtbarer Beweis der „Größe“ des Reiches. Deswegen will Nerdinger in dieser Architektur auch kein Mittel der Unterwerfung sehen. Im Gegenteil, sie diene einer Aufrichtung. Ein Gefühl der Stärke sollte vermittelt werden und der rassischen Überlegenheit.

So zeigt sich das Bauen im Nationalsozialismus mit seinen rigiden architektonischen Ordnungen und der forcierten Strenge als das Korsett eines Zwangsstaates, in dessen Regelwerk sich die Volksgenossen durchaus freiwillig einübten. Eine versteinerte Ödnis. Letztlich sollte sie überzeitlich sein. Unverrückbar und unwandelbar. Jedenfalls wollte Hitler, der „Baumeister des Reiches“, den Nachkommen in seinem „Tausendjährigen Reich“ bestenfalls noch kosmetische Eingriffe in dieser architektonisch gleichgeschalteten Welt zugestehen: „Später können dann Generationen kommen, die sich darüber freuen, wenn sie Rinnsteine versetzen oder Gaskandelaber von der einen Seite auf die andere.“

Auch in Sachen Architektur hatte der Mann eine krude, gruselige Vorstellung von der Dynamik einer Volksgemeinschaft. Bis zuletzt, so wird berichtet, soll er sich an den Modellentwürfen der Umgestaltungsstädte delektiert haben.