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Archiv-Artikel

Ein schwarzes Meer aus Totenschädeln

AUSSTELLUNG „Verbotene Bilder“ in der ngbk fragt nach der Militarisierung der Gesellschaft, dem Schweigen über Verbrechen der Vergangenheit, das Nachwirken von Diktatur und Kolonialismus in Japan, Korea und Taiwan

Mit der Allgegenwart der Radiogymnastik verbindet Chen Ching-Yao die ständige Bereitschaft, sich zu disziplinieren, Körper und Geist auf Linie zu bringen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die drei Videos „International Radio Gymnastics“, die Chen Ching-Yao in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (ngbk) ausstellt, sehen zunächst einmal bunt aus. Dreimal die gleichen Bewegungen, laienhaft, gelangweilt ausgeführt, doch synchron im Takt, vor wechselnder Kulisse: einer Fußgängerzone in Japan, einem Strand in Korea, zwischen Tempeln in Taiwan. Ein bisschen was Komisches bekommt die Wiederholung der Formen, so künstlich implantiert am jeweiligen Ort.

Radiogymnastik ist geläufig in den ostasiatischen Ländern Japan, Korea und Taiwan, aus denen die Künstler der Ausstellung kommen. Chen Ching-Yao ist Künstler aus Taiwan und er liebt die Parodie. In der fotografischen Serie „Kommando Seifenblasen“ sieht man ihn als Offizier einer operettenhaften Armee, die Seifenblasen schießend bei McDonald’s eintanzt. Mit der Allgegenwart der Radiogymnastik verbindet er die ständige Bereitschaft, sich zu disziplinieren, Körper und Geist auf Linie zu bringen. Tatsächlich ist die Gymnastik ein Relikt aus der japanischen Kolonisierung in Ostasien.

Die Ausstellung „Verbotene Bilder“ im ngbk ist sechs Künstlern gewidmet, die sich mit der Militarisierung der Gesellschaft, dem Schweigen über Verbrechen der Vergangenheit, dem Nachwirken von Diktaturen und Kolonialismus in Japan, Korea und Taiwan auseinandersetzen. Der Titel „Verbotene Bilder“ ist der Erfahrung der Zensur in ihren Ländern geschuldet. Dass sich ein Transportunternehmen weigerte, Arbeiten des koreanischen Künstlers Hong Sung-dam zu verschiffen, die schon in Gwangju letztes Jahr aus einer Ausstellung verbannt wurden, die während der Gwangju-Biennale lief, unterstreicht den Vorwurf von Kontrolle und Zensur.

Hong Sung-dam griff deshalb zu einer Notlösung, die jetzt starke visuelle Elemente in der Ausstellung schafft. Er malte die eigenen Bilder auf den Wänden der ngbk nach; aber nur einzelne Figuren sind farbig ausgeführt, große Figurengruppen dagegen schwarz markiert. Was man nicht sieht, ist hier so bedeutend wie das, was man sehen kann. Denn mit dem Ausgesparten und nicht Artikulierten eng verbunden ist Hong Sung-dams Kampf von dem zu reden, worüber nicht geredet werden soll.

Im Mai vor 35 Jahren schlug das Militär in Gwangju brutal einen Aufstand nieder, der von Studenten und Arbeitern ausgegangen war, um gegen die Brutalität der Militärherrschaft zu protestieren. Dass die Erinnerung daran auch von der heutigen Präsidentin Park Geun-hye nach Möglichkeit be- und verhindert wird, berichtete am 18. Mai auch Fabian Kretschmer, der mit mehreren Zeitzeugen geredet hatte, in der taz. Hong Sung-dam zitiert dieses Massaker von Soldaten an Zivilisten, Frauen und Kindern, das ihn in vielen Arbeiten beschäftigt hat, in seinem Bild „Sewol Owol“. In der ngbk zitiert er dieses Bild, und aus grinsenden Militärs und weinenden Müttern ist ein schwarzes Meer geworden, in dem Gesichter langsam zu Totenschädeln werden. Einzig die Figuren der jetzigen Präsidentin und ihres Vaters, des Generals Park Chung-hee, der Südkorea von 1961 bis 1979 mit diktatorischer Härte regierte, stechen farbig hervor.

Im informativen Katalog kann man nicht nur viel zur Geschichte, Kontrolle und Zensur in den drei Ländern lesen, sondern auch über die Künstler selbst und die Herkunft ihren Bildsprachen. Hong Sung-dam, geboren 1955, gehört einer Künstlergruppe an, die sich „Forschungsgruppe für visuelle Medien“ nennt und nach Formen und Ritualen sucht, auch nach schamanistischen Praktiken, um den Prozess des Kunstmachens zu öffnen und BürgerInnen zu beteiligen.

Man braucht diese Zusatzinformationen, um das Brisante der Ausstellung zu begreifen. Man wird so auch mit Tomiyama Taeko bekannt gemacht, einer 1921 geborenen Malerin aus Japan, deren grafische Zyklen teils an die expressionistische Bildsprache von Käthe Kollwitz erinnern, teils an Agitprop-Collagen. Sie erzählt in einem kleinteiligen Bilderzyklus von den vielen Phasen der Politisierung ihrer Kunst. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima entstand ihre letzte symbolträchtige Serie. Ihr ist am Sonntag um 15 Uhr ein Vortrag der japanischen Fraueninitiative Berlin gewidmet. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ bis 14. Juni, ngbk, Oranienstr. 25, tägl. 12–19 Uhr