piwik no script img

Archiv-Artikel

Die perfekte Masche

GUERILLAAKTION In Fürstenberg an der Havel bestricken Frauen Bäume, um auf ihre Stadt aufmerksam zu machen. Am liebsten würden sie den gesamten Ort dekorieren

Anke Domscheit-Berg

■ 47, Feministin, Betriebswirtin, Inhaberin von fempower.me und opengov.me.; unterstützt Frauen auf dem Weg in Führungspositionen, berät Verwaltungen und Politik, transparenter und partizipativer zu werden. Bis 2014 Mitglied der Piratenpartei in Brandenburg. Stricken ist für sie nicht nur politisches Mittel, sondern auch gut, um abzuschalten. (nic)

VON GINA NICOLINI

Mit einem letzten gekonnten Stich zieht Anke Domscheit-Berg den strahlend grünen Wollfaden fest. Ihre dicke Nadel steckt sie in eine der Wollblumen, die sie gerade zusammengenäht hat. Gegenüber ihrem Haus in Fürstenberg an der Havel hat die Netzaktivistin und Publizistin einen Baum mit bunten Strickblumen verkleidet. Sie macht einen Schritt zurück und betrachtet zufrieden ihr Werk. Orange, grün und weiß leuchten die Handarbeiten auf der grau-braunen Rinde. „Es macht mich glücklich“, sagt die zierliche blonde Frau, „mir geht das Herz auf, wenn ich die Bäume in ihren Strickpullis sehe.“

Socken, Schals, Topflappen

Gut 80 Kilometer nördlich von Berlin, im brandenburgischen Niemandsland, liegt die Wasserstadt Fürstenberg. 3.500 Menschen leben dort. Seit 2011 ist Domscheit-Berg eine von ihnen. Hier findet die ehemalige Piraten-Politikerin die Ruhe, die ihr das Leben in Berlin nicht bieten konnte. Und mit der Ruhe kommen die Stricknadeln zum Einsatz. Socken, Schals, Topflappen – es gibt nichts, was sie noch nicht gestrickt hat. Seit sie die Nadeln halten kann, strickt Domscheit-Berg, die immer gleiche Handbewegung habe etwas Meditatives, erklärt sie.

Als Kind strickt Domscheit-Berg mit ihrer Mutter. In den 80er Jahren studiert sie Textilkunst. Nach der Wende bekommt das Stricken dann eine politische Komponente: Stricken als „klassisch weiblicher“ Zeitvertreib wird zu einer politischen Aktion. Domscheit-Berg umstrickt Panzer, hüllt Statuen und Bäume in bunte Wollgewänder. Ganz im Sinne des feministischen Leitspruchs „Das Private ist politisch“ nutzt sie die Aufmerksamkeit, die sie für ihr Guerilla-Stricken bekommt, um Themen wie Frauenrechte und Gleichstellung nach vorne zu bringen. Domscheit-Berg engagiert sich für Frauen in der Wirtschaft und kämpft gegen die männliche Vorherrschaft in Unternehmen.

Teil der Gesellschaft

Guerilla-Knitting nennt sich das öffentliche Umgarnen und hat seinen Ursprung in Houston/Texas. Eine Gruppe von strickenden Frauen verschönerte Türklinken mit ihren Werken, anstatt Socken und Pullis zu stricken, wie man es eigentlich von ihnen erwartet hätte. Die Frauen besetzten den öffentlichen Raum und hinterließen mit ihren Guerilla-Knittings ein Zeichen, dass auch sie Teil der Gesellschaft sind und aktiv in den öffentlichen Raum eingreifen können.

Auch in Fürstenberg steht dieser Gedanke an Christi Himmelfahrt im Vordergrund. Stricken bringe die Frauen im Ort zusammen. Manche hätten einfach Freude an der Sache, für die anderen stehe eher die Kampagne für die Stadt im Vordergrund, erklärt Domscheit-Berg. „Wir wollen die Aufmerksamkeit auf Fürstenberg lenken. Alles konzentriert sich auf Berlin, dabei hat das Umland so viel zu bieten“, sagt die 47-Jährige und zieht einen großen Wollschal aus einer Kiste. Dieser soll gleich um den Baumstamm genäht werden.

Den ganzen Tag über bekleiden Domscheit-Berg und ihre Mitstreiterinnen vom örtlichen Strickzirkel den Park am Bahnhof. Ein Ort, der nicht nur symbolischen Wert hat. Mitten im Park steht ein Denkmal für die sowjetischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind. Krieg, Besatzung, DDR, all das ist hier noch deutlich sichtbar, ja spürbar. „Wenn vor 25 Jahren jemand auch nur einen Faden um den Baum gewickelt hätte, wäre er in den Knast gekommen“, meint Steffi Barbirz aus Berlin, die heute mit ihrer Tochter eine Fahrradtour nach Fürstenberg unternimmt. „Es ist toll, dass wir endlich so frei sind, uns diese Räume zurückzuerobern.“

Keine hundert Meter von den umstrickten Bäumen liegt der Bahnhof. Einmal die Stunde bringt der Regional-Express aus Berlin erholungssuchende Großstadttouristen in das 3.500-Seelen-Städtchen. Wenn der Zug einfährt, füllt sich die schmale Kopfsteinpflasterstraße innerhalb weniger Minuten mit Radfahrern, Familien mit Campingausrüstung und Wanderern.

Wollpullis an den Bäumen

„Vielleicht locken wir durch unsere Strickaktion ja auch ein paar mehr Menschen hierher“

NETZAKTIVISTIN ANKE DOMSCHEIT-BERG

Eine Gruppe Jungen fährt mit dem Rad am Park vorbei, als einer von ihnen laut „Halt“ ruft und auf die Wiese abbiegt. Die anderen folgen, werfen ihre Räder ins Gras und nähern sich den Bäumen. Neugierig streichen sie über die Wollpullis. „Wie weich das ist“, sagt einer, ein anderer: „Das sieht aus wie die Flagge von Italien!“

Sechs Quadratmeter Gestricktes brauchen die Frauen für einen Stamm mit drei Meter Umfang. Mindestens. Heute sollen mehr als zehn Bäume einen „Pulli“ umgelegt bekommen, wie Domscheit-Berg ihre Wollkunstwerke nennt. An dem Material haben sie und ihr Strickzirkel vier Monate gearbeitet.

„Meine Frau strickt eigentlich immer, wenn sie Zeit hat“, sagt Herbert Blank, der auf dem Fahrrad vorbeigekommen ist, um zu sehen, was die GuerillastrickerInnen heute geschafft haben. Er und seine Frau wohnen seit einigen Jahren in Fürstenberg. „Der Strickzirkel hat uns zusammengebracht mit den Menschen hier.“ Obwohl er selbst nicht strickt, unterstützt Blank seine Frau bei ihrem Hobby, begleitete sie sogar zum Handwerks- und Strickkurs beim letzten taz.lab. „Ich habe zwar nur Wolle aufgewickelt, aber die Frauen haben dort so viel für den heutigen Tag vorbereitet, das ist toll“, sagt Blank. Unzählige Wollknäuel wurden beim taz.lab Ende April zu großen Wolldecken verarbeitet, ebenso viele Knäuel hatten taz-LeserInnen den Frauen für ihr Guerilla-Knitting gespendet.

Gesamten Ort bestricken

Anke Domscheit-Berg bekommt von den neugierigen Blicken der TouristInnen kaum etwas mit, sie ist schon dabei, den nächsten Baum einzupacken. Bis zum Fürstenberger Wasserfest im Juli – 30.000 Menschen werden dann erwartet – wollen die Guerilla-Strickerinnen noch einige Bäume mehr einhüllen. „Vielleicht locken wir durch unsere Strickaktion ja auch ein paar mehr Menschen hierher“, freut sich Domscheit-Berg, während sie einen Wollfaden durch ein Nadelöhr steckt. Am liebsten würde sie die gesamte Stadt bestricken und dekorieren. Einen guten Anfang hat sie heute schon gemacht.