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Archiv-Artikel

Alles so ordentlich und sauber – bis das Licht verlischt

HORRORSCHAU Das Performance-Kollektiv Monster Truck zeigt in einer Kunstinstallation das Grauen hinter der Fassade spießbürgerlicher Deutschland-Kulissen. Nachdem der Abend vom Schauspiel Leipzig wegen einer Schweine-Szene abgesagt wurde, hatte „Welcome to Germany“ jetzt in den Sophiensælen Premiere

Von Alfred Hitchcock ist überliefert, dass er seine Cameo-Auftritte immer an den Anfang seiner Filme legte, weil er nicht wollte, dass das Publikum den ganzen Abend darauf wartete. Natürlich warteten am Donnerstag bei der Premiere von „Welcome to Germany“ in den Sophiensælen alle auf das Schwein. Und natürlich ist es sinnvoll, dass die Gruppe Monster Truck diese Verwurstungsszene, die ja gerade eben in Leipzig gleich mal für eine Absage des Stücks gesorgt hat, ganz an den Anfang legte.

Doch schon vorher, bereits beim Betreten des Saals, zeigte sich, dass dieser Abend viel eher eine Kunstinstallation und weniger eine klassische Theaterinszenierung ist. Die Zuschauer sitzen in einer geschlossenen, hölzernen Rotunde an Biertischen. Um sie herum kreisen die Wände, an denen bunte Gemälde deutschen Brauchtums prangen. Ordentliche Buben in der Schule, ein Bauer auf dem Mähdrescher. Bier wird serviert und Würstchen mit Senf.

Die Konstruktion auf der Bühne steht für eine Enklave deutschen Brauchtums am Fuße der chilenischen Anden. In der heutigen Villa Baviera auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad hat jahrzehntelang eine Sekte mit deutschem Antlitz geherrscht. Während die Läden Schwarzbrot und Wurst vor bayrischer Kulisse verkauften, folterten die Schergen des Pinochet-Regimes ihre Gegner auf dem weitläufigen Gelände. Nicht alle deutsche Politiker störte das. Franz Josef Strauß besuchte die deutsche Enklave, die sich viel darauf einbildete, ein Ort deutscher Tugenden zu sein: Sauberkeit, Pünktlichkeit, Ordentlichkeit. Gemütlich geht es hier zu – bis das Licht verlischt.

Zu düsteren Splattermovie-Klängen trägt eine Frau im OP-Kostüm dann eben ein Schwein auf ein Podest in der Mitte der Bühne. Kein frisch geschlachtetes Tier ist das, sondern ein vorbereitetes Stück Fleisch aus dem Supermarkt, ausgenommen, ausgeblutet, gewaschen und gehäutet. Nicht wirklich schockierend, sondern eher klinisch-steril erscheint es deshalb, als die Frau dem Schwein mit dem Messer zu Leibe rückt, die Knochen durchtrennt und das Fleisch abschabt. So sieht die Wahrheit eben aus, unser Fleisch wächst nicht am Baum.

Vor dem Hintergrund der heilen Welt-Gemütlichkeit macht sich dennoch so etwas wie Beklemmung breit, die knackenden Knochen, das brutal verrenkte Schweinebein, ein übler Geruch – etwas bleibt hängen für den Rest des Abends.

Der wird nach dem Schweinemassaker von einem diabolischen Moderator im Lederhosendress moderiert. Auf der Plattform lässt er von seinen drei Kollegen in verschiedenen Nummern die Wahrheit hinter dem schönen Schein aufführen. Da schnallt sich dann ein Seppl eine Banane um, an der die anderen lustvoll killern – auch Kindesmissbrauch war an der Tagesordnung in der deutschen Außenstelle. Später läuft minutenlang das Volkslied „Kein schöner Land“ in einer Endlosschleife, während eine Performerin vergeblich versucht, ein Keyboard in Betrieb zu nehmen. Macht nichts, wir kennen ihn doch alle, den Text.

Nur eines macht stutzig bei so viel süddeutsch-chilenischer Gemütlichkeit. Der Moderator der Revue des Grauens spricht gar nicht Bayerisch, sondern es klingt verdächtig nach Sächsisch. Je länger man ihm zuhört, desto mehr erscheinen die Heile-Welt-Bilder wie Szenen aus einem ganz anderem Staat. Auch der sogenannte sozialistische Realismus verbarg hinter biederen Bildern von properen Arbeitern und Bauern sein wahres, brutales Gesicht. Es ist eine deutsche Spezialität, das Grauen hinter spießbürgerlicher Volkstümelei zu verstecken, da nehmen sich die rechte und die linke Diktatur nichts. Und die Auseinandersetzung mit den Abgründen hinter dieser Wohlfühlfassade hätte auch Leipzig sehr gut gestanden.

ALEXANDER KOHLMANN

■ Aufführungen 9. und 11. Mai