: „Ich kämpfe weiter für ihn“
BLOG Am 7. Mai 2014 wurde Raif Badawi in Saudi-Arabien verurteilt. Ein Gespräch mit der Schwester
■ Die Frau: 33, Make-up-Artist und Menschenrechtsaktivistin in Dschiddah, Saudi-Arabien.
■ Der Bruder: Raif Badawi wurde zu 1.000 Stockhieben und 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in seinem Netzforum den Islam beleidigt haben soll.
taz: Frau Badawi, die Hiebe für Ihren Bruder Raif Badawi haben einen internationalen Aufschrei ausgelöst. Hat die Aufmerksamkeit etwas bewirkt?
Samar Badawi: Ohne die Aufmerksamkeit hätten sie nicht aufgehört ihn auszupeitschen. Bislang hat Raif nur 50 der 1.000 Peitschenhiebe bekommen, zu denen er verurteilt wurde. Ich habe noch Hoffnung, dass er freigelassen wird. Der internationale Druck hält an: Schweden hat einen Waffendeal mit den Saudis gestoppt, in den USA haben mehr als 60 Kongressmitglieder König Salman in einem Brief gedrängt, Raif und andere politische Gefangene freizulassen.
Die saudische Regierung hat das als Einmischung in innere Angelegenheiten kritisiert. Haben Sie keine Angst, dass internationaler Druck Raifs Chancen auf Freilassung mindert?
Nein. Das Allerwichtigste für die Regierung ist, dass die internationale Gemeinschaft schweigt. Die Kampagne für Raif hat ihr viele Kopfschmerzen bereitet. Nur wenn wir weiter Druck machen, gibt es Hoffnung, das Raif und Walid entlassen werden …
… Walid Abu al-Kheir ist Ihr Ehemann. Er war Raifs Anwalt.
Ja, Walid wurde im April 2014 verhaftet und wegen „Rufschädigung“ und „Aufhetzens der öffentlichen Meinung“ zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Wie geht es den beiden?
Gesundheitlich gut, Gott sei Dank. Ich kann Walid Medizin und Bücher bringen. Raif ruft mich täglich an und ich besuche ihn oft. Er wird gut behandelt. Sollte er schlecht behandelt werden, würde ich in den sozialen Medien darüber reden.
Neben Raif und Walid sitzen viele politische Gefangene in saudischen Gefängnissen. Warum hat ausgerechnet Raifs Fall so viel Aufmerksamkeit erregt?
Weil er besonders krass ist. Raif war noch nicht einmal Menschenrechtsaktivist wie Walid. Wenn du einen harmlosen Blogger auspeitschst und zehn Jahre ins Gefängnis sperrst, werden die Leute hellhörig. Weder Walid noch andere prominente Gefangene werden ausgepeitscht.
Viele Liberale in Saudi-Arabien stehen Raif und Walid kritisch gegenüber. Die beiden hätten es zu weit getrieben. Wer etwas bewegen wolle, müsse langsam und vorsichtig vorgehen.
Das sehe ich anders. So funktioniert das nicht. Entweder haben diese Leute Angst oder sie wollen nicht wirklich etwas verändern. Es mag Dinge geben, für die man behutsam kämpfen kann, aber andere muss man hart angehen. Nur Druck kann etwas bewegen.
Hat es Sie überrascht, dass Raif und Walid verhaftet wurden?
Raifs Urteil hat mich überrascht. Er hatte ja nur darüber geredet, was die Leute denken. Dass Walid verhaftet werden würde, hatte ich aber erwartet. Sie hatten ihn gewarnt, hatten ihm Einreiseverbot erteilt und ihn bereits für drei Monate eingesperrt. Aber Walid hat nicht aufgehört. Ich habe ihm gesagt, er müsse vorsichtiger sein, aber er wollte nicht. Walid ist sehr stark. Er war und ist fest davon überzeugt, dass er nichts Falsches gemacht hat.
Haben Sie keine Angst, selbst verhaftet zu werden?
Das Risiko muss ich eingehen. Wer redet noch, wenn alle den Mund halten? Aber sie haben Angst, mich zu verhaften, da ich gut vernetzt bin. Letztes Jahr standen drei Autos zwei Wochen lang vor meiner Haustür. Die Regierung weiß, wo ich bin und was ich mache. Sie wartet, dass ich einen Fehler mache. Aber ich kämpfe nur für meine Familie. Alle Menschenrechtsaktivitäten habe ich eingestellt. Wie würde die Regierung meine Verhaftung rechtfertigen? Samar Badawi hat für ihren Bruder und ihren Ehemann gekämpft? Das wäre doch peinlich. Mein Kampf ist es, Saudi-Arabien zu einem besseren und gerechteren Land zu machen. Ich bleibe hier und sende meinen Mitbürgern die Nachricht: Auch wenn ihr Angst habt, ich habe keine, ich kämpfe weiter. INTERVIEW: JANNIS HAGMANN