DER TSV 1860 MÜNCHEN ALS KLUB OHNE ZUKUNFT
: Blaue Scham

Kulturbeutel

ANDREAS RÜTTENAUER

Reden wir über die Blauen! Vorletzter sind sie jetzt in der Zweiten Liga. Nicht wenige Fans des TSV München von 1860 e. V. freuen sich darüber. Sie haben einen Traum. Sie wollen raus aus der hässlichen Arena des FC Bayern. Der Abstieg in die Dritte Liga, so hoffen sie, könnte die Rückkehr in das geliebte Stadion an der Grünwalder Straße bedeuten. Es war ein kurzer Traum. Schon am Tag nach der Niederlage vermeldete das Münchner Boulevardblatt tz, dass bei einem Treffen von Sponsoren und Logenbesitzern beschlossen worden ist, in der Arena des FC Bayern am Müllberg im Münchner Norden zu bleiben, weil es am Ende irgendwie doch nicht anders gehe. Was da stand, las sich wie der Beschluss über die Abwicklung eines Vereins, der mal als Münchens große Liebe galt.

Wer weiß-blau gefärbte Kindheits- und Jugenderinnerungen an den Klub hat, muss sich in diesen Tagen seiner Leidenschaft fast schon schämen. Dass die Sechz’ger die anderen waren, der Klub derer, die nicht für das Bussibussi-München stehen, ein Arbeiterklub in Schickimicki-Land, das haben die Fans lange für den Klub ins Feld geführt. Jetzt müssen sie sich als Proletenversteher beschimpfen lassen.

So mancher München-Roman, der in den letzten Jahren erschienen ist, lässt kein gutes Haar an den Löwenfans. Egon Günthers „Watschenbaum – Roman einer Kindheit“ erzählt davon, wie bedrückend das junge Leben des kleinen Cornelius in der kleinbürgerlichen Vorstadt war. Eine Abwechslung im von fiesen Nachstellungen der Lehrer und Mitschüler reichen Leben ist für Cornelius der regelmäßige Stadionbesuch bei den Löwen. Ein Spaß ist das nicht. Von Hass ist da die Rede, von roten Zapfen, die sich im Rachen fetter Schreihälse krümmen, von einem Schiri, der um sein Leben bangen muss nach dem Spiel, vom Bus der Gastmannschaft, der von johlenden Fans zum Schaukeln gebracht wird, von der nackten Angst junger Spieler hinter den Scheiben.

Und wenn Friedrich Ani in seinem jüngsten Krimi „M“ ein düsteres Bild von der braunen Szene Münchens zeichnet, dann hängt ein Wimpel des TSV über dem Tresen, an dem tätowierte Nazinacken hängen. Wenn er schildert, wie sich die gewalttätigen Braunen in Begleitung seriös daherkommender und vom Verfassungsschutz gehegten Nazifunktionären auf den Weg ins Stadion machen, kann man sich kaum vorstellen, dass es auch andere Fans der Blauen gibt. Die „Löwenfans gegen Rechts“, die für ihre Arbeit 2009 vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet worden sind, haben in diesem finsteren Bild, das da vom TSV gezeichnet wird, keinen Platz. Als Naziklub kommen die Löwen da daher, den man gerne mal fragt, wenn man für ein deutschnationales Fußballturnier einen hübschen Trikotsatz benötigt.

So einen Verein darf keiner mögen, mag denken, wer das liest. Und so mancher wird abwinken, wenn sich Löwenfans beschweren, dass der Ani, der gerade am Drehbuch für den großen Uli-Hoeneß-Film arbeitet, schon immer ein Roter gewesen sei, einer, der in der Welt doch tatsächlich einmal geschrieben hat: „O, FC Bayern, göttlichster aller Vereine, das Triple sei unser!“ Es gibt ihn doch wirklich, wird man ihnen erwidern, jenen Block in der Arena, in der sich die Münchner Nazis alle zwei Wochen versammeln.

Der Kultverein von einst ist zum Schandfleck geworden. Die Fans stehen unter Rechtfertigungsdruck. Die Zukunft des Klubs ist ungewiss. Er braucht eine neue Erzählung. In Fröttmaning wird die wohl nicht zu schreiben sein.