piwik no script img

Archiv-Artikel

Bonnie und Clyde in Auschwitz

DRAMA In „Die verlorene Zeit“ (20.15 Uhr, ARD) fliehen ein junger Pole und eine deutsche Jüdin aus dem KZ. Der Antisemitismus und eine Lüge trennen die beiden Liebenden

VON JENS MÜLLER

Wenn deutsche Filme sich anmaßen, von Antisemitismus im polnischen Widerstand gegen die Nazis zu erzählen, ist das ein Problem. Das preisgekrönte Machwerk „Unsere Mütter, unsere Väter“ hat deshalb in Polen und in den USA heftige Kontroversen ausgelöst. Der Film, den die ARD heute zeigt, ist schon davor, 2011, gedreht worden. Vielleicht hat sich die – amerikanische – Drehbuchautorin darum keine weiteren Gedanken gemacht. Wahrscheinlich aber doch. Und falls nicht, hätte sicher ein Redakteur der koproduzierenden Fernsehsender korrigierend eingegriffen. Und wahrscheinlich ist genau das wiederum das Problem von „Die verlorene Zeit“.

Da haben sich also der junge Mann aus der polnischen Heimatarmee und die junge deutsche Jüdin im KZ lieben gelernt. Ihnen gelingt die Flucht mit Sex auf der Waldlichtung und Zärtlichkeiten im Mercedes-Cabrio, der zwei fluchende Nazifrauen entführt. Das könnten Bonnie und Clyde sein, hätte der Film nicht zuvor in Auschwitz gespielt. Mit der Beschwingtheit ist es auch bald vorbei, als der junge Mann mit der Zukünftigen bei seiner Mutter vorstellig wird. Die Mutter: „Sind Sie Jüdin? […] Du kannst keine Jüdin heiraten! […] Die Juden waren nicht Bestandteil unserer Welt!“ Besagtes Problem könnte nun darin bestehen, dass der Antisemitismus der Mutter durch die rührige Fürsorglichkeit der danach auftretenden, der Heimatarmee verbundenen Polen, alle selbst in existenzieller Bedrängnis, (über-)kompensiert werden muss. Es muss überhaupt viel kompensiert werden. Denn es sind das Ressentiment und eine Lüge der Mutter, die verhindern, dass die Liebenden Lebenspartner werden. Das ist nicht zu viel verraten, der Zuschauer weiß das fast von Anfang an.

„Die verlorene Zeit“ hat noch eine Rahmenhandlung. Sie spielt im bürgerlich-intellektuellen New York der siebziger Jahre. Ein Mann hat einen Forschungsauftrag bekommen und feiert eine Party – und seine Frau erkennt im Fernsehen den Mann, mit dem sie aus dem KZ geflohen ist. Den Totgeglaubten. „Eine Erinnerung kommt nicht als Ganzes, sie ist von Anfang an zerrissen“, notiert sie: „Der Tomasz, an den ich mich erinnere, hat für die Liebe sein Leben aufs Spiel gesetzt. Es ist natürlich ein Klischee, aber es ist auch eine Tatsache.“

Die Konstruktion – Rahmenhandlung und Erzählung der eigentlichen Geschichte als Rückblende – und die Bilder eines auch schon wieder lange vergangenen New York erinnern an Margarethe von Trottas „Jahrestage“-Verfilmung. Tatsächlich hat die Autorin Pamela Katz drei Drehbücher (darunter „Rosenstraße“) mit von Trotta geschrieben. Auch die bestimmenden Frauenfiguren erinnern an von Trotta. Sie sind mit (einer nach mehrmonatigem Diätplan abgemagerten) Alice Dwyer und Dagmar Manzel in der Rolle der Heldin und mit Susanne Lothar als Mutter herausragend besetzt – und gespielt. Den Ehemann in New York gibt „Sledge Hammer“ David Rasche. Und in einer Szene lässt Regisseurin Anna Justice ihren Ehemann Florian Lukas als schneidigen Wehrmachtsjunker über Pferde und seine Obsession fürs Reiten dozieren.

Näher kommt der Zuschauer dem radikal Bösen nicht. Alle übrigen Nazis und Rotarmisten sind bellende Abziehbilder. Das muss vielleicht auch so sein – das ist natürlich ein Klischee, aber eben auch eine Tatsache. Aber müssen denn, auf der anderen Seite, die polnischen Widerständler so brave, klischeehaft liebe Menschen sein? Muss denn die Mutter alle Bitterkeit allein verkörpern?

Alles in allem ist der Film, für den Michael Ballhaus als „Associate Producer“ genannt wird, gar nicht so schlecht. Er ist aber auch nicht richtig gut – denn dann hätte er ja kein Problem.