: Schönen Dank auch für den Seelenmüll
THEATER II „Immer noch Sturm“ im Deutschen Theater provoziert regelrecht den Vergleich mit „Plastik“ in der Schaubühne. Das tut nur einem der Stücke gut
„Tragödie!“ Der Großvater spuckt das Wort aus, voller Verachtung. Verbieten will er es in seiner Familie und ist dabei auch ein wenig komisch in seiner Autorität. Verbieten will er es nicht nur, weil es zur ungeliebten deutschen Sprache gehört, die das Slowenische, die Sprache der Familie, verdrängt hat. Sondern mehr noch, „weil unsere Geschichte sehr antitragisch ist“. Tragik, sagt er, setzt Handeln voraus. Die Passivität der Sippe aber, die er dann beklagt, wird sich im Verlauf der Geschichte sehr verändern, die Peter Handke in „Immer noch Sturm“ erzählt; zu den Partisanen gehen seine Söhne und eine Tochter während des Zweiten Weltkriegs, um sich gegen das Großdeutsche Reich zu wehren.
Im Deutschen Theater inszeniert Frank Abt „Immer noch Sturm“ vor kleinem Publikum. Der Text, für den Handke 2012 den Mülheimer Dramatiker-Preis erhielt, ist als ein Gespräch des Autors mit seinen Vorfahren angelegt. Er begleitet die Großeltern, die in Kärnten lebten als Teil einer slowenischen Minderheit, seine Mutter und ihre Geschwister durch die Jahre 1936 bis Kriegsende. Setzten die Brüder anfangs ihr Glück auf Anpassung und kämpften als Soldaten für Deutschland, beginnt bald ihre Politisierung, und sie finden den Weg in den Widerstand. Dass dies kaum einer überlebt, macht die Geschichte sehr traurig.
Dann lieber einfache Witze über Performancekünstler
Inszeniert hat Frank Abt die imaginierten Gespräche mit den Verstorbenen aber kaum als Versuch des Ich-Erzählers, sich Vergangenes vorzustellen und selbst aus den Verlusten von Familie und Zugehörigkeit heraus zu verstehen – sondern vielmehr wie eine Chronik des Dabeigewesenseins. Es bleibt eine hölzern erzählte Geschichte; manchmal denkt man, die Schauspieler wurden mit ihren Rollen nicht warm. Keine Empathie stellt sich ein und das historische Kostüm kann nicht ersetzen, dass man als Zuschauer kaum in den Sehnsuchtsräumen des Erzählers ankommt. Denkt man da an „Common Ground“ vom Gorki-Theater, ebenfalls ein Stück über Herkunft, Verlust und Krieg, springt der uninspirierte Umgang mit der Geschichte noch deutlicher ins Auge.
An der Schaubühne kam knapp eine Woche zuvor „Stück Plastik“ heraus, geschrieben und inszeniert von Marius von Mayenburg. Das Ambiente, – Wohlstand, gestresstes Paar, Erfolg im Beruf, vernachlässigtes Kind, was ist bloß aus den Idealen von früher geworden – ist vertraut. An zwei Figuren spitzt es sich zu: An Serge (Sebastian Schwarz), einem Künstler, der unermüdlich und nervtötend an den Grenzen von Kunst und Leben rumpopelt und sich nicht nur den Inhalt des Kühlschranks seiner Assistentin Ulrike, sondern auch deren Familienkonflikte performativ einzuverleiben versucht. Das führt zu manch schöner Groteske und Parodie auf den Kunstbetrieb, ist sehr lustig und irgendwann auch zu vorhersehbar.
Die zweite Figur der Abweichung ist die Putzfrau Jessica (Jenny König), die nicht nur für den Haushalt und die Fütterung des Sohnes zuständig ist, sondern von allen als seelischer Mülleimer benutzt wird. Selbst Serge nimmt sie in Anspruch, gierig nach ihrer Authentizität. Dass jeder von ihr ein Bild im Kopf hat, das völlig losgelöst von ihrer realen Existenz ist, ist auch schon wieder komisch, obwohl es tragisch ist. In einem genialen Showdown prallen sie am Ende zusammen: Der Wahnsinn, der vom Künstler erwartet und gegeben wird, und der Wahnsinn von Jessica, den niemand auf der Rechnung hatte. Man kann auch meckern, zum Beispiel über die notorisch zickigen Plattitüden von Ehefrau Ulrike oder darüber, dass Witze über Performancekünstler ziemlich einfach gehen. Aber trotzdem: Allemal lieber über diese Komödie meckern als sich der gebildeten Langeweile bei „Immer noch Sturm“ hingeben. KATRIN BETTINA MÜLLER
■ „Immer noch Sturm“, 8. + 26. Mai im DT; „Stück Plastik“ 20./23./24. + 25. Mai in der Schaubühne